Helfen ist einfach!

Untragbar! Alltag im Wedding…

Thema–Ein Interview mit Leon von der Berliner Obdachlosenhilfe e.V.

Die 2013 von ehemals obdachlosen Menschen gegründete Berliner Obdachlosenhilfe hatte zu Beginn des Do-It-Yourself-Projekts noch keinen Raum. Sie trafen sich im Flur einer WG und es wurde zusammen gekocht. Das änderte sich im Laufe der Zeit und mittlerweile ist sie aus der Buttmannstraße in die Lynarstraße 38 gezogen, da sie dort neue Räumlichkeiten zur Verfügung gestellt bekommen hat. Das Hilfsangebot sollte von Anfang an so niedrigschwellig wie möglich sein: «Zum einen für Helfer*innen und zum anderen für die Gäste. Alle Leute können zu uns kommen und sofort mithelfen», so Leon von der Berliner Obdachlosenhilfe. «Viele Leute kommen einfach nur zum quatschen vorbei und schmieren ein Brot.
Genauso ist es für unsere Gäste, wir fragen nicht nach, ob die Menschen obdachlos sind, welche Staatsangehörigkeit sie haben oder irgendetwas anderes.» Mittwochs, samstags und sonntags wird in der Lynarstraße gekocht und gegen 18:00 Uhr fahren sie dann zu unterschiedlichen Orten in Berlin und verteilen Essen und Kleidung. Dazu gehören der Leopoldplatz, Alexanderplatz, Kottbusser Tor und der Hansaplatz.

«Es geht darum, dass die Leute verstehen, dass Obdachlosigkeit und prekäre Lebenssituationen nicht einfach so passieren»

«Wir haben viele Leute, die sporadisch kommen, aber auch sogenannte Stammhelfer*innen. Die Beteiligung schwankt zum Teil sehr stark.» Insgesamt helfen fest etwa 50 Personen. Die Motivation für die Helfenden ist meist ein «moralisches Interesse sich mit Obdachlosigkeit auseinanderzusetzen. Es gibt aber auch Helfer*innen, die selber Gäste von uns waren oder sind. Meistens ist das Motiv das Bedürfnis etwas zurückzugeben,» schildert Leon.

Nicht nur Essen, sondern auch sozialer Ankerpunkt

Ein typischer Arbeitsablauf sei mit mehr organisatorischem Aufwand verbunden als es auf den ersten Blick aussehe. Sie bekommen die Lebensmittel von der Berliner Tafel und Transgourmet, die an verschiedenen Tagen abgeholt werden müssen. Die Helfer*innen arbeiten möglichst hierarchiefrei in verschiedenen Schichten. «Auf den Touren ist es einerseits das Essen ausgeben, weswegen die Gäste kommen, aber ich glaube auch, dass wir ein sozialer Ankerpunkt sind. Einfach das Wissen, um diese Uhrzeit, an diesem Tag wird jemand da sein, zu dem ich gehen kann, wo ich essen kann. Das ist für viele auf der Straße sehr beruhigend zu wissen.»

«Du kannst dich einfach anstellen. Du bist nicht drinnen, wir machen das immer an öffentlichen Plätzen, draußen, wo du immer überall hingehen kannst, wo du deine eigene Ecke haben kannst,» erzählt Leon und unterstreicht noch einmal die Niedrigschwelligkeit des Angebots. Damit sollen vorrangig die Bedürfnisse von Menschen auf der Straße gestillt werden. Langfristigere Arbeit soll in Zukunft ausgebaut werden. Neben den Touren gehen sie beispielsweise in Schulen und halten Vorträge, haben Infotische oder gehen auch mal in Universitäten. «Dabei versuchen wir immer zu bewerben, dass die Leute selber kommen sollen, um sich ein Bild zu machen. Es geht darum, dass die Leute verstehen, dass Obdachlosigkeit und prekäre Lebenssituationen nicht einfach so passieren und nicht Pech sind, oder dass die Leute selbst Schuld haben. Es ist wirklich krass, dass das so viele Leute denken und davon ausgehen, dass ihnen das nicht passieren kann. Und das ist einfach Quatsch. Es kann wirklich jeder Person passieren und die Leute, die auf der Straße leben, haben grundsätzlich nichts falsch gemacht in ihrem Leben, sondern sind einfach Abgehängte des Systems. Dass obdachlose Menschen Menschen wie du und ich sind, und dass helfen einfach ist. Was auch das Motto unseres Vereins ist: ‹Helfen ist einfach›.
Da steckt am Ende doch mehr dahinter, als dieser einfache Satz suggeriert,» so Leon. Er hat außerdem konkrete Vorstellungen davon, was auf theoretischer und praktischer Ebene getan werden könnte.

So unterstützen sie das Projekt Housing First. Normalerweise müssen Menschen bei der Wohnungsvermittlung bestimmte Regularien erfüllen, damit sie Wohnraum zugewiesen bekommen. «Housing First dreht das um und sagt wir geben den Menschen Wohnraum, egal was sie machen.» Auch der Verein hatte so ein Projekt, das in Zukunft wieder angeboten werden soll. Zusätzlich müsste es viel mehr Notübernachtungen geben und alternative Flächen für Menschen zur Verfügung gestellt werden. Er bemängelt, dass Flächen wie die Brache an der Rummelsburger Bucht jahrelang von Wohnungslosen bewohnt würden und dann unter dem Vorwand, dort ein soziales Wohnprojekt zu installieren, wegplaniert würden. Das sei für ihn widersprüchlich und skurril. Auch der Mietendeckel scheint aus Sicht des Vereins vernünftig.

Längerfristige Kooperationen

Zu anderen lokalen und überregionalen Gruppen  gab es und gibt es immer wieder Kontakte, jedoch keine langfristige Kooperation. So organisieren sie z.B. zusammen Demos, veranstalten Workshops oder haben einen eigenen Wagen auf dem Zug der Liebe.
Leon versteht das Interview mit der Plumpe, aber auch, dass sie die ehemaligen Räume anderen Initiativen zu Verfügung stellen, als einen Schritt, längerfristige Kooperationen entstehen zu lassen. Auch die neuen Räume sollen breiter genutzt werden. «Weil wir haben jetzt diese mega geilen Räume hier und die müssen besser ausgearbeitet werden und dann wollen wir die auch allen coolen Organisationen zur Verfügung stellen, klar.»
In den neuen Räumlichkeiten sind sie seit April. «Die Idee ist, dass hier in ein bis zwei Jahren wöchentlich jeden Tag ein Programm stattfindet. Das Kiezcafé stellen wir uns so vor, dass ein selbstverwalteter Raum da ist, wo Menschen, ohne Geld ausgeben zu müssen, sein können.» Damit wollen sie auch das nachbarschaftliche Gefüge fördern. Auch ein Nachtcafé wollen sie ganzjährig anbieten. Allerdings arbeiten alle Beteiligten ehrenamtlich, es hängen also alle Prozesse vom Engagement und der Zeit der Einzelnen ab. Deshalb ruft Leon dazu auf, mitzumachen: «Wir laden wirklich aktiv ein, alle Leute die Lust haben und sich für das Thema interessieren – kommt her! Bringt euch ein und habt keine Berührungsängste.
Ihr müsst nichts machen, worauf ihr keine Lust habt. Auch wenn es nur für eine halbe Stunde ist. Also wirklich, kommt vorbei, schmiert ein Brot und geht wieder. Wir haben super Öffnungszeiten: Samstags von 12 bis 1 Uhr morgens, da wird schon jemand Zeit finden!»

Kontakt: www.berliner-obdachlosenhilfe.de

Ein Artikel der Redaktion, erschienen in der Plumpe #3 (September 2019)