Die «neoliberalisierung der städte» – ein schreckgespenst von dem wir in letzter Zeit immer häufiger hören. aber was hat es damit auf sich? und was hat das mit unseren Kiezen zu tun?
Die «neoliberale Stadt» beschreibt die Ausrichtung der gesamten Stadtentwicklung an der Idee des freien Marktes. Es wird angenommen, dass dieser alle Probleme von alleine und ohne Regulierungen am besten lösen kann. Die Folge sind die Zurücknahme staatlicher Sozialprogramme und weitreichende Privatisierungen um dies durchzusetzen. Die Stadt wird hier als eine Marke angesehen, die es zu verkaufen gilt. Die Menschen, die in ihr leben sind zweitrangig. Unsere Städte sollen schöner und attraktiver werden, nicht für uns Bewohner*innen, sondern in erster Linie als «Standortfaktor» für multinationale Unternehmen und um hochqualifizierte Fachkräfte anzuziehen. Geringverdienende und Arbeitslose werden hingegen ausgegrenzt. Im Fokus dieser – gar nicht so neuen – Logik der kapitalistischen Städte liegt also die Verwertbarkeit für das Kapital. Die Stadtpolitik wird damit zu einer «Standortpolitik» umgestellt. Am einfachsten ist es die verschiedenen Ausdrucksweisen der «neoliberalen Stadt» am Beispiel zu betrachten. Im Wedding fallen dabei schnell folgende Beispiele ins Auge: Die voranschreitende Privatisierung von öffentlichen Orten signalisiert nach außen deutlich, wer dazugehört und wer nicht. Wer sich den neuen Lifestyle nicht mehr leisten kann, wird ausgegrenzt. Das zeigt sich an der stark ansteigenden Videoüberwachung halböffentlicher Orte und an Hinweisschildern oder Verordnungen, die etwa aggressives Betteln, ungenehmigten Warenverkauf, «Zweckentfremdungen» von Wasserbecken oder Bänken und das Anbringen von Plakaten verbieten. So können bestimmte Personengruppen durch private Sicherheitsdienste ausgegrenzt werden.
Der Wedding entwickelt sich derzeit zu einem neuen Hotspot für Start-Ups. Die politisch beförderte Ansiedlung der Technologie-Unternehmen wirkt als Motor für die weitere Aufwertung des Kiezes und sorgt für kräftig steigende Gewerbemieten. In der zunehmenden Konkurrenz um Flächen ziehen weniger ertragreiches Kleingewerbe und soziale Träger zumeist den Kürzeren. Unkommerzielle Atelier- und Arbeitsräume von Künstler*innen und Kreativen werden verdrängt. Steigende Wohnungsmieten folgen im Schlepptau der Start-Ups. Die Vielfalt von Gewerbe und sozialer Infrastruktur, die einen Kiez lebenswert macht, verschwindet. Schicke Co-Working-Cafés oder ganze Co-Working Areale, in denen Laptop an Laptop gearbeitet wird, etablieren sich an ihrer Stelle. Letztendlich veröden die Kieze zu einer immer gleichen Szenerie aus Büroräumen mit großen Glasfassaden und hochpreisiger Gastronomie.
Neoliberale Stadt
Unter «neoliberaler Stadtpolitik» wird die Ausrichtung der Stadtpolitik auf die Konkurrenz der Städte untereinander, die Ökonomisierung oder Verwirtschaft- lichung von städtischen Aufgaben und Leistungen sowie die Orientierung städ- tischen Handelns an unternehmerischen Grundsätzen verstanden.
Kommunale Wohnungsbestände und landeseigene Liegenschaften wurden flächendeckend und durch alle Parteienkonstellationen über Jahrzehnte hinweg privatisiert. Von den 470.000 städtischen Wohnungen im Jahr 1998 blieben zehn Jahre später nur noch rund 260.000. Die ehemalig städtischen Wohnungen gehören heute börsennotierten Unternehmen wie der Deutsche Wohnen oder Vonovia. Über Mietsteigerungen durch Modernisierung oder fehlende Instandsetzung von Gebäuden streben die Immobilien-Aktiengesellschaften danach ihre Profite zu maximieren. Gleichzeitig wurden die städtischen Wohnungsunternehmen auf Gewinn getrimmt – soziale Ausrichtung Fehlanzeige! Mieterhöhungen und Zwangsräumungen gehören bei den kommunalen Gesellschaften seither zum Alltag.
Es rettet uns kein Milieuschutz
Die Folgen der neoliberalen Stadt- und Wohnungspolitik in Form von steigenden Mieten, Verdrängung und Wohnungsnot treiben immer mehr Menschen auf die Straße. Leugneten die politischen Verantwortlichen vor wenigen Jahren noch die desaströsen Auswirkungen der neoliberalen Politik, kommen Politiker*innen aller Parteien angesichts massiver Proteste, um soziale Versprechungen in der Mieten- und Wohnungspolitik nicht mehr herum. Doch selbst die derzeitige, vorgebliche linke Koalition aus SPD, Grünen und Linken ist nicht Willens, mit der neoliberalen Wohnungs- und Mietenpolitik grundsätzlich zu brechen. Zur Erinnerung: Unter der rot-roten Koalition zwischen 2002 und 2011 wurde ein Großteil der städtischen Wohnungen privatisiert. Die Infragestellung der kapitalistischen Verwertungslogik, nach der Wohnraum eine Ware ist und Profit auf Kosten der Mieter*innen abwerfen soll, ist von ihnen nicht zu erwarten. Stattdessen werden Instrumente wie der Milieuschutz präsentiert, die den steigenden Mieten und der Verdrängung kaum etwas entgegen zu setzen haben.
Milieuschutz
Der Milieuschutz ist ein städtebauliches Instrument. Er greift ausschließlich bei der baulichen Veränderung einer Wohnung. Modernisierungsmaßnahmen oder die Zusammenlegungen von Wohnungen in Milieuschutzgebieten müssen Vermieter*innen beim Bezirksamt anmelden, um diese genehmigen zu lassen. Das Bezirksamt kann bestimmte Maßnahmen wie Luxusmodernisierungen (Einbau eines zweiten Bades oder einen Aufzug) untersagen.
Der Milieuschutz ist ein stumpfes Schwert gegenüber den Verwertungsinteressen von Investor*innen. Er bietet keine politisch festgesetzte Mietobergrenze. Er schützt weder gegen die rasant steigenden Neuvermietungsmieten, noch vor Mietsteigerungen durch den Mietspiegel. Teure Modernisierungen wie der Anbau von Balkonen oder die nutzlose Fassadendämmung zur energetischen Sanierung verhindert er nicht, obwohl die Kosten für die Modernisierung häufig zu massiven Mietsteigerungen führen. Umwandlungen von Miet- in Eigentumswohnungen sind trotz Umwandlungsverordnung in Milieuschutzgebieten nicht verboten. Investor*innen müssen nur versprechen in den ersten sieben Jahren ausschließlich an die Mieter*innen zu verkaufen. Aber wer kann sich schon eine teure Eigentumswohnung leisten? Über das Vorkaufsrecht können Bezirke in Milieuschutzgebieten Häuser erwerben, die zum Verkauf angeboten werden. Der Bezirk Mitte wendet das Vorkaufsrecht aber bisher kaum an. Hier braucht es massiven politischen Druck durch Mieter*innen, um die politischen Verantwortlichen zur Anwendung des Vorkaufsrecht zu zwingen. Investor*innen können einen Vorkauf jedoch durch eine Abwendungserklärung abwenden.
Doch auch der Kauf eines Hauses durch eine kommunale Wohnungsbaugesellschaft schützt Mieter*innen nicht vor steigenden Mieten, solange die städtischen Unternehmen profitorientiert arbeiten und über unsere Köpfe hinweg über unsere Wohnungen entschieden wird. Statt sich auf der Übernahme durch eine kommunale Wohnungsbaugesellschaft auszuruhen, sollten wir uns organisieren: Sich mit anderen betroffenen Häusern vernetzen und in der Hausgemeinschaft einen Mieter*innenrat bilden, wären erste Schritte in diese Richtung.