«Gemeinsam die Angst wegschmeißen» – Interview mit der unabhängigen Erwerbsloseninitiative Basta!


Themen – «Wir sind es, die Arbeitslosen!» So reihten sich die unabhängige Erwerbsloseninitiative von Basta!, alle Verachtung trotzend, als Gruppe am 30.4.18 in dieDemo ein. Sie organisieren sich seit acht Jahren im Wedding. Neben der Beratung in der Schererstraße 8 geht es ihnen um ein solidarisches und würdevolles Miteinander. Sie ringen um eine gemeinsame Praxis, wirkungsvoll gegen die Bedrohung der Jobcenter aktiv zu werden. In der Aktionswoche vom 20.-30. April organisierte Basta! eine Beratung vor dem Jobcenteram Leopoldplatz und mit der PA58 (Prinzenallee 58) ein Erzählcafe mit der Weddinger Nachbarschaft.

Das Jobcenter ist für euch als Basisaktivist*innen ja mittlerweile ein zweites «Zuhause». Kann man das so sagen?!

Für Basta! ist die Schererstraße 8 das soziale Haus, wo wir wir selbst sein können. Dort können wir uns analog austauschen, miteinander denken, lernen, streiten, lachen, uns organisieren, gemeinsam Essen, Musik machen und feiern. Nein, das Jobcenter ist kein zu Hause, definitiv nicht. Es ist ein Apparat der blanken Herrschaft, der Menschen keine Handlungsoptionen lässt. Damit verbinden wir einen grotesken Ort, der die Lohnarbeit zum einzigen Mittel der Selbstverwirklichung erklärt und der mithilfe von neuzeitlichen Instrumenten wie Sanktionen, Mitwirkung und Zumutbarkeitskriterien Terror verbreiten will. Das Jobcenter ist für uns die Fabrik; dort streiten wir um materielles Auskommen. Es ist der Ort der taktischen Konfrontation. Auch dort gewinnen wir zukünftige Mitstreiter*innen. Um Solidarität zu spüren begleiten wir uns gegenseitig, zeigen dabei, dass wir nicht allein sind, dass Herkunft gemeinsames Schicksal macht. Dabei ist das Jobcenter ein Ort unserer Analyse und Kritik.

Was ist eigentlich die Motivation, sich als Initiative permanent mit so einem bürokratischen Komplex wie Hartz-IV und den dazugehörigen Jobcenter Aktivitäten auseinanderzusetzen?

Da gibt es viele Gründe. […] In Berlin und gerade im Wedding kann ein hoher Anteil der Bewohner*innen nicht durch Arbeit den Lebensunterhalt bestreiten. Und das,während die Mieten steigen und rassistische Diskurse öffentlich politisch angeheizt werden. Im Jobcenter fallen all diese Zustände zusammen. Wir lernen sehr viel bei unserer Arbeit bei Basta!:Wie es möglich ist mit wenig Geld zu leben, wie viel Solidarität in der Gesellschaft vorhanden ist, die meist unsichtbar bleibt. Wir wollen die Kräfte, das Widerstandspotential bündeln,um zu einer Gegenmacht zu werden. Armut, Arbeits- und Wohnungslosigkeit sind keine individuellen Probleme, die in der Person wurzeln, sondern gesellschaftlich gemacht, gewollt. Für uns ist klar, dass wir sie deshalb auch nicht individuell lösen können, sondern uns zusammen tun müssen. Das Gefühl von Schuld lastet schwer, aber vor allem der Ausschluss, wenn ich nicht einfach mit meinen Freund*innen essen gehen kann und das letzte Mal vor 5 Jahren im Urlaub war – das alles versuchen wir in einen Kontext zu setzen.

Dabei ist die Beratung eben keine reine Rechtsberatung, sondern wir reden dort auch über Perspektiven und Analysen. Warum handelt das Jobcenter so? Welche Vorurteile schwingen in den Briefen und Gesprächen im Jobcenter mit und wie können wir uns abgrenzen, unsere Persönlichkeit davon bestimmen zu lassen, selbstbewusst sein und bleiben? Wir haben vor zwei Jahren einen Basta!-Urlaub gemacht. Das war eine gemeinsame Regelübertretung. Das kleinliche piefige Gesetz kennt keinen Urlaub, nur Ortsabwesenheit erlaubt und unerlaubt. Wir sind also keine reinen Sesselpupser, sondern genießen gemeinsam das Leben und finden Freiräume. Es gilt im Jobcenter nicht das (juristische) Recht, es ist erlaubt was dem Zweck dient. Die Strategie der Bundesagentur für Arbeit / JobCenter lautet: Setzt die Mittel so ein, bis die Leute jede Arbeit annehmen oder abtreten.

Worauf lag der Schwerpunkt bei der Beratung und dem Erzählcafe in der Aktionswoche?

Der Wedding hat sich für arme Leute zu einer Durchgangsstation entwickelt, einem Viertel wo verarmte Leute keine Wurzeln schlagen sollen, bzw. total beengt leben müssen.
Wir haben in der Aktionswoche darüber informiert wie es möglich ist, mehr Kohle für Miete vom Jobcenter zu bekommen. In Berlin gibt es zehntausende von Haushalten, die ihre Miete aus dem mickrigen Hartz IV Regelsatz mit bezahlen müssen und das teilweise seit Jahren. Uns ist in der Beratung aufgefallen, dass die Jobcenter bei niemandem selbstständig die neue höhere Miete seit 1/1/2018 gewährt haben. Da wollten wir mehr wissen, uns einmischen. Jeder Euro aus dem Regelsatz fehlt beim Kauf von Medikamenten, Lebensmitteln und Büchern. Viele verzichten auf das wenige, was ihnen zusteht, da sie entweder keine Lust auf das ewige Briefe schreiben haben oder eben gar nichts von den Erhöhungen erfahren haben. Das Jobcenter klärt natürlich nicht auf, wenn mehr Geld gezahlt werden muss. Das kennen wir schon vom Umgang mit dem Bildungs- und Teilhabepaket für Kinder, was theoretisch jedem Kind zusteht, praktisch dann aber doch immer wieder kleinteilig erstritten werden muss. Wir wollen Mut machen.

Am 28.4. haben wir zusammen mit der PA 58 das Erzählcafe gemacht. Das war ein fahrbares Wohnzimmer und darin erzählten uns und anderen Passantinnen auf der Straße die Mieter*innen was bei ihnen die Ankündigung von höheren Mieten, Eigentümerwechsel und Kündigung ausgelöst hat. Wir denken, es lohnt sich immer, den Kontakt, das Gespräch, die Konfrontation direkt auf der Straße, im Amt und im öffentlichen Raum zu suchen. Dazu gehört allerdings auch kontinuierliche Beziehungsarbeit. Wir erfahren voneinander, gehen nicht mehr als der Fremde, die Andere aneinander vorbei, begreifen die Strukturen, die eine Agenda 2010 hervorbrachten.

Womit schlagen sich die meisten erwerbslosen Nachbar*innen im Kiez rum, bzw. könnt ihr ein Beispiel von der Beratung in der Aktionswoche geben?

Das ist ziemlich divers. Auffällig ist, dass ein Hauptmietvertrag wie ein Privileg erscheint. Viele erwerbslose Nachbar*innen leben in Zwischen- oder Untermietverhältnissen, die rechtlich schlechter abgesichert sind. Sie sind also ständig auf Wohnungssuche. Andere, die schon länger im Kiez wohnen, schlagen sich mit steigenden Mieten rum oder das Jobcenter fordert zur Mietsenkung auf. Wie soll ich meine Mietkosten senken? Das führt meist zu nichts. Nach einiger Zeit wird dann die Miete von Jobcenter Seite „eingefroren“ und der Rest muss aus dem Regelsatz beglichen werden oder es entstehen Mietschulden. Eine Umzugsgenehmigung für eine neue Wohnung zu bekommen ist immer Rennerei und oft ist die Wohnung dann weg, bevor du den Jobcenterwisch in der Tasche hast. Nicht vergessen sollten wir die vielen wohnungslosen Personen, die sich von Couch zu Couch, Notunterkunft, Hostel, Flüchtlingslager hin und her hangeln müssen.

In der Aktionswoche haben wir eine Person getroffen, die in einem Flüchtlingsheim wohnen musste. Weil sich der Tagessatz von täglich 30 Euro auf 35 Euro erhöhte, stellte das Jobcenter die Zahlung ein. Eine Woche später schloss die Unterkunft: Von 100 Personen wurden einige direkt einem neuen Heim zugewiesen, andere leben nun auf der Straße, so wie der junge Mann, den wir getroffen haben. Oder eine Familie mit 4 Leuten in einem Zimmer ohne Bad, die nicht umziehen dürfen, aber auch nix finden. Das passt wie Arsch auf Eimer, sich den Launen des Wohnungsmarkt und Jobcenters unterordnen zu müssen. Oder die Frau mit ihrem erwachsenen Sohn, der nicht ausziehen darf, der als zu dick beschimpft wird von Amtsträgern und dessen Hoffnung auf ein existenzsicherndes Einkommen, eine Ausbildung und eigene Familie, leben zu wollen, sich zerschlägt. Die subjektivierenden Auswirkungen sind Kopfschmerzen und sein Magen schnürt sich zusammen, er will bloß weg vom Amt.

Was steht demnächst an?

Wir planen für den 04. August ein Straßenfest auf der Schererstraße. Dazu sind alle Nachbar*innen herzlich eingeladen. Sowohl dabei zu sein als auch bei der Vorbereitung mitzumachen. Die Termine der nächsten Vorbereitungstreffen sind am 4.6. und am 18.6. um 17 Uhr in unserem Beratungsraum.

Außerdem soll es im Herbst eine weitere Erwerbslosenschule geben. Das ist eine Form unserer Veranstaltungsreihen, wo wir uns inhaltlich mit dem System Jobcenter auseinander setzen. Diesmal wollen wir eine kritische feministische Perspektive einnehmen auf das Konstrukt von Bedarfsgemeinschaft, die Regelungen und Nachforschungen, wenn man*frau alleinerziehend ist, Reproduktionsrechte von Frauen in Hartz-IV, das Bildungs- und Teilhabepaket und gesundheitliche Aspekte vom Leben mit Hartz-IV. Also auch wie hängt Gesundheit und Krankheit mit Armut zusammen. Das hat ja auch was mit der Aktionswoche zu tun. Wie lange muss ich in einer schimmeligen Wohnung leben, wenn ich arm bin? Wie kaputt macht mich der Foodora-Job?