Ein Kiez unter Verdacht! Erfahrungen mit der Alltagsüberwachung

Verfolgt von der Kamera – Eine Aktion von der Kampagne Endstation am Leo

Themen – Erfahrungen mit der Alltagsüberwachung am Kottbusser Tor als Beispiel für den Leopoldplatz

Seit einer Weile steht nun bei der Polizei, die täglich am Kottbusser Tor mit 2-3 Wagen vor Ort ist, ein zusätzlicher Anhängerwagen mit einer Kamera auf dem Dach und dem Hinweis auf Videoüberwachung – auch am Leo steht häufg so einer. Er vermittelt die Botschaft, dass wir uns an einem ‚gefährlichen Ort‘ befinden und penible Überwachung erforderlich sei. Dass dieser, auch Schnüffelwagen genannte Apparat, hier steht, hat jedoch vielmehr damit zu tun, dass das Kottbusser Tor gerade zu einem neuen Zentrum gemacht wird – im Herzen Berlins.

Einer Stadt, die im imperialen deutschen Kaiserreich Hauptstadt wurde, später Zentrum des Kalten Krieges war und heute als zentrale Metropole in der Europäischen Union wiederaufgebaut wird. Denn wie in allen westlichen Metropolen bedeutet Zentrum-Werden auch hier, zu einem ‚sicheren‘ und ‚sauberen‘ Ort gemacht zu werden. So kommt ein Konzept zum Einsatz, welches u.a. das Kottbusser Tor als ‚gefährlichen Ort‘ ausruft und die Polizei befähigt, Menschen verdachts- und anlassunabhängig zu kontrollieren und zu durchsuchen. Eben genau wie am Leopoldplatz. Es ist immer wieder zu beobachten, dass vor allem Schwarze und für Muslime gehaltene Menschen an diesen Orten im Fokus der polizeilichen Überwachung stehen und als vermeintlich kriminell gelten.

«Kriminalität ist aber keine objektive Gegebenheit, die einfach so vorgefunden wird und dann eine Reaktion erfordert. Sie ist ein Ergebnis von Zuschreibungen und Konstruktionen. Menschen verhal- ten sich immer auf die eine oder andere Art und Weise von Normen abweichend, aber nur manche Handlungen und Men- schen werden daraufhin als kriminell etikettiert und andere nicht.»

schreibt das Magazin – Bürgerrechte & Polizei/ CILIP in der aktuellen Ausgabe.(1)

Folglich erweist sich die Berliner Sicherheitspolitik für die besonders im Fokus stehenden Menschen als verunsichernd und gefährlich. Sie sind im neuen Zentrum unerwünscht. Anders gesagt, das Zentrum soll weiß, schick und bürgerlich sein. Dieses Vorhaben schlägt sich am Kotti gewaltsam nieder: Die Geschäfte laufen gut, Immobilienfirmen und Start-Ups etablieren sich, Mieten steigen, Anwohner*innen und Kleingewerbe werden verdrängt. Die migrantische Kiezkultur wird als Fassade für eine kaufkräftige Kreativwirtschaft, Luxus-Investitionen und Tourist*innen vermarktet; sie wird aber auch gesäubert, damit das Geld besser und vermeintlich sicherer fließt.

So wird das Kottbusser Tor auch zu einem Ort, an dem unterschiedlichste Migrationsbewegungen aufeinandertreffen. Viele neue Leute durchkreuzen den Ort: Leute, die Zu ucht suchen, Leute, die Business machen wollen, Leute, die Spaß haben wollen, Leute, die auf der Suche nach Geld und Jobs sind. Gleichzeitig sind die Leute von früher da, als Kreuzberg ein Randbezirk, eine Peripherie war. Leute, für die es immer schwerer wird, ihre Wohnung zu bezahlen, Leute, die dafür kämpfen, gesellschaftliche, also soziale Räume zu erhalten. Leute, die ihre Sachen packen, Leute, die ihr Leben unberührt weiterführen (können), Leute, die sich nicht verdrängen lassen, sich gegen steigende Mietpreise und Polizeiüberwachung organisieren.

Zwischen diesen Gruppen lassen sich durchaus gemeinsame Interessen ausmachen. Im Alltag aber durchqueren viele von ihnen das Kottbusser Tor voneinander getrennt. Die aktuelle Überwachungspolitik trägt zu ihrer Zersplitterung bei – eben durch die rassistische und klassistische Aufteilung in überwachte, kriminalisierte und Gruppen, die sich frei bewegen dürfen. Eine solche Politik sollte niemals normal werden! Auch nicht am Leopoldplatz oder am Bahnhof Osloer Straße! Sie nimmt Nachbar*innen den Raum, um ins Gespräch zu kommen, zum Beispiel darüber, was Sicherheit für wen bedeutet. Wir sollten auf unser Recht bestehen und damit beginnen, eigene Möglichkeiten zu diskutieren wie wir uns Sicherheit wieder aneignen und wie wir auf selbstbestimmte, mündige Art und Weise aufeinander aufpassen können.

Ein Beitrag der Berliner Kampagne Ban! Racial Profiling – Gefährliche Orte abschaffen

(1) CILIP 115  (2018) «Werhat Angst vorm Kottbusser Tor? Zur Konstruktion „gefährlicher“ Orte»