Titelthema– Nun ist es auch in der Berliner Politik angekommen: In Berlin wird bezahlbarer Wohnraum dringend benötigt! Die vermeintliche Lösung lautet daher: Bauen! Bauen! Bauen! Dabei steht die Behauptung von Politik und Immobilienwirtschaft im Raum, dass das allen Menschen in der Stadt zugute komme, egal welche Art von Wohnungen gebaut werde. Aber stimmt diese Behauptung?
Dies wollen wir für den Wedding überprüfen und fragen uns: Was wird hier eigentlich von wem für wen gebaut? Sind die hier entstehenden Neubauten tatsächlich in der Lage, den Mangel an Wohnraum für Alleinerziehende, Auszubildende, Transferleistungsempfänger*innen (bspw. Hartz-4), Geflüchtete und andere zu decken?
Mit Hilfe der kiezkarte.org (selbst Einträge hinzufügen) wurden über 60 Neubauten im Wedding (Ortsteile Wedding und Gesundbrunnen) aufgelistet, die in den letzten fünf Jahren fertiggestellt wurden oder im Bau sind. Davon waren 48 relevant für unsere Frage. Diese wollen wir uns nun genauer ansehen.
Im Wedding wurden in den letzten fünf Jahren in sechs Projekten über 1.800 Wohneinheiten als „Studi-Apartments“ gebaut. Hier werden möglichst viele Zimmer auf möglichst kleinem Raum errichtet. Das Geschäftsmodell sieht vor die 20 bis 30 m² großen Wohnungen einzeln als Renditeobjekte zu verkaufen. Die kurzfristige Vermietung des Eigentums übernehmen dann wieder die jeweiligen Firmen. Die vollmöblierten Mikro-Apartments können sich Studierende kaum leisten. Im prominenten Beispiel Campus Viva II in der Koloniestraße 11 werden über 30 Euro pro Quadratmeter verlangt! Das vorgegebene Motto lautet: „Mein Sohn will zum Studieren nach Berlin, ich zum Investieren.“ (1)
In elf Projekten entstanden mehr als 250 Eigentumswohnungen. Diese richten sich ausschließlich an Menschen mit sehr viel Geld und bieten dementsprechend auch mehr Platz. Als Wohnraum für Reiche sorgen sie dafür, dass die Preise und Mieten im umliegenden Kiez steigen und führen damit zur Verdrängung unterer Klassen aus unserer Nachbar*innenschaft. Sogenannte «Town-Houses» sind dabei die Luxusvariante von Eigentumswohnungen.
Ein Beispiel ist die Prinzen35, die den stolzen Kaufpreis mit dem «rauen, ehrlichen und ursprünglichen Charme» des Soldiner-Kiez bewirbt – Authentizität als Standortfaktor. Die Städtischen Wohnungsbaugesellschaften sind im Wedding durch Gesobau, Degewo und Gewobag mit acht Neubauten und knapp 600 Wohnungen vertreten. Allerdings arbeiten auch sie gewinnorientiert. In der Graunstraße 12 bietet die Degewo zwar 34 «sozialverträgliche» Mietwohnungen an. Allerdings sind 70 der hier neugebauten Wohnungen einfach zu teuer, um von z.B. Hartz 4-Empfänger*innen angemietet zu werden.
Vielmehr unterscheiden sich die städtischen Projekte kaum von privaten Investor*innen (6 Objekte), die auch dem Berliner Modell folgen müssen: Früher 25%, ab 2018 30% der Wohnungen im Neubau müssen mietpreisgebunden sein. Die heftig umstrittene Mauerparkbebauung rühmt sich mit 122 geförderten Mietwohnungen, kommt aber auch mit 122 Eigentumswohnungen, 269 hochpreisigen Mietwohnungen und 193 Mikro-apartments daher. Das sind eindeutig zu wenig geförderte Wohnungen, um eine Aufwertung der umliegenden Gebiete zu verhindern. Auch fallen die Sozialwohnungen ab 15 Jahren aus der Mietpreisbindung und werden also teurer – Gentrifizierung aufgeschoben durch Steuergelder, die in private Taschen fließen.
Die zwölf Projekte in Geschäfts-, Büro-, Ateliers- und Hotelneubauten tragen zu einem eher indirekten Verdrängungsprozess bei. Gefördert etwa durch das Städtebau-Programm «Aktives Zentrum Müllerstraße» werden gehobene Geschäfte und Ateliers im Wedding angesiedelt. Das neue Konsumangebot richtet sich an Tourist*innen oder die Oberschicht, gleichzeitig werden die Gewerbe verdrängt, deren Inhaber*innen in den Kiezen wohnen und damit ihre Existenzgrundlage verlieren.
Was ist mit Genossenschaften?
Weniger problematisch, aber leider nur eine Lösung für wenige, sind Neubauten von Genossenschaften. Davon entstehen im Wedding in vier Projekten 286 Wohneinheiten. Die Wohnungen sind in der Regel günstiger und die meisten Genossenschaften haben den Anspruch, nicht gewinnorientiert zu wirtschaften. Beispielsweise entsteht in der Lynarstraße ein Projekt, welches WBS-Wohnungen und Gemeinschaftswohnen anbietet. Allerdings müssen hier häu g früh Anteile an den jeweiligen Genossenschaften gekauft werden – ein Ausschlusskriterium für alle mit wenig Geld oder Menschen, die plötzlich eine neue Bleibe suchen müssen.
Insgesamt wird im Wedding vor allem für reiche Menschen mit Kapital gebaut. Ob als Anlageobjekt oder als eigenes «Town-House» – die Stadt gehört denen, die das Geld haben. Durch den Neubau wird direkt oder indirekt die bisherige Bevölkerung verdrängt. Genossenschaftswohnungen oder Wohnungen für die unteren Klassen entstehen viel zu wenig. Anstelle eines gewinnorientierten städtischen und privaten Wohnungsbaus brauchen wir bezahlbaren und selbstverwalteten Wohnraum für alle. Dabei können wir uns nicht auf die Politik verlassen, die den Aufwertungsprozess aktiv vorantreibt, sondern müssen uns gemeinsam im Kiez vernetzen, organisieren, kämpfen!
Ein Beitrag von den Neubau Boys, erschienen in der Plumpe #1 (Nov18)
(1) https://www.campusviva.de