«Ein Raum, in dem sie sein können, wie sie sind»

(Reginald Gammon, Freedom Now, 1963)

Themen/Interview – Each One Teach One (EOTO e.V.) ist ein Verein von und für Schwarze, Afrikanische und Afrodiasporische Menschen in der Togostraße 76. EOTO ist für seine Jugendarbeit bekannt. Miriam Chebaibai Koch arbeitet in diesem Bereich als Soziale Beraterin im Antidiskriminierungsprojekt Each One. Wie Schwarze junge Menschen bei EOTO e.V. ihre Handlungsfähigkeit im Wedding erweitern…

Kannst Du mir etwas näher beschreiben, was im Jugendbereich von EOTO gemacht wird?

In der Jugendarbeit von EOTO machen wir vor allem Grassroots-Arbeit, die sich an Jugendliche richtet. Es gibt die Soziale Beratung von Each One einmal in der Woche, woraus sich Begleitungen und weitere Beratungen ergeben. Außerdem versuchen wir, regelmäßig Workshops anzubieten: Auf der einen Seite Feel-Good-Workshops wie Tanz- oder Haar-Workshops; auf der anderen Seite politische Workshops wie zum Beispiel demnächst mit der Initiative in Gedenken an Oury Jalloh zu Polizeigewalt. Um einen Raum zu haben, um über eigene Erfahrungen sprechen zu können und klar zu wissen: Was sind meine Rechte? Was darf ich machen, in einer Situation, in der die Polizei auf mich zukommt und mich rassistisch profiled und ich Polizeigewalt erfahre?

Dann machen wir Vernetzungsangebote, bundesweite Treffen Schwarzer Jugendlicher in Kooperation mit anderen Organisationen wie zum Beispiel der Initiative Schwarze Menschen in Deutschland, dem Arbeitskreis Panafrikanismus in München oder im Rahmen der youcoN. Und dabei versuchen wir Schwarze Jugendarbeit zu konzeptualisieren und einen Arbeitsbegriff zu finden, mit dem wir die Belange Schwarzer Jugendlicher sowohl in der Sozialen Arbeit als auch darüber hinaus in der politischen Öffentlichkeit wahrgenommen und vertreten werden können.

Was macht für Dich Schwarze Jugendarbeit aus? Warum wird sie gebraucht?

Sie wird gebraucht, weil Schwarze Jugendliche spezifische Erfahrungen machen, die in Verbindung mit ihren Erlebnissen und Erfahrungen mit Rassismus stehen. Diese begleiten sie durch die Institutionen hinweg, in der Schule, in der Kita und in allen Bereichen, in denen sie angebunden sind, wie soziale Angebote, soziale Hilfsträger. Und an dieser Stelle ist es wichtig eine begleitende und parteiische Instanz zu sein, die die Jugendlichen durch den Alltag begleitet mitsamt den Problemen, die in dieser rassistischen Welt entstehen.

Was sind diese spezifischen Themen, die bei Schwarzen Jugendlichen aufkommen?

Erstmal sind das Themen, die in jeder Sozialen Beratung aufkommen, das heißt von Obdachlosigkeit über ungewollte Schwangerschaft, Wohnungsprobleme bis hin zu Studienproblemen. Und in diesen Bereichen gibt es diese spezifische Schwarze Erfahrung, die sie in den Institutionen, in denen sie sich anbinden wollen, zum Beispiel auf dem Wohnungsmarkt, auf gesonderte Weise anti-Schwarzen Rassismus abbekommen, das heißt Rassismus, der auf besondere Weise historisch aufgeladen ist.

Miriam Chebaibai Koch (Each One Teach One e.V.)

In Wedding sind junge Schwarze Menschen dabei überdurchschnittlich von Klassismus betroffen, das heißt, die meisten Jugendlichen, die in die Sozialberatung kommen, sind aus wenig verdienenden Familien. Dann gibt es oft auch Familienprobleme, die dazukommen. In Familien, in denen die Eltern migriert sind und das System vielleicht nicht so kennen, gibt es spezielle Anforderungen an die Jugendlichen, eine Art von Übermittler*innen zu sein, die den Eltern auf der einen Seite das System erklären, auf der anderen Seite sie auch in vielen Bereichen vertreten müssen. Jugendliche dabei etwas zu entlasten und ihnen die Skills zu geben, um mit dem System umzugehen, ist, glaube ich, ganz wichtig.

Warum kommen die jungen Menschen zu Euch? Was finden sie bei EOTO?

Sie finden zunächst einen safen Raum, also einen Raum, in dem sie erstens sein können, wie sie sind, und zweitens die Leute wissen, dass sie bestimmte Erfahrungen machen und diese Erfahrung auch respektieren und teilen. Dann finden sie auch ganz klar parteiische Arbeit und den Willen kreativ Lösungen zu finden. Wenn wir begleiten, ist klar: Wir sind für die Jugendlichen da und mit den Jugendlichen da und versuchen, sie und ihre Handlungsfähigkeit ernst zu nehmen und durchzuboxen. Ich denke, das merken sie. Viele sagen das auch, dass sie oft nicht ernst genommen werden. Darüber hinaus ist auch wichtig, dass es viele coole Angebote gibt, in denen sie entspannt sie selbst sein können, sich mit anderen Schwarzen Jugendlichen treffen können und einfach eine gute Zeit haben können.

Die Beratung, die du anbietest, ist also eingebettet in ein breiteres Empowerment-Programm. Was ist daran so wichtig?

Der Empowerment-Ansatz, den wir verfolgen, geht eher in die Richtung, sich nicht nur gegen Rassismus zu wenden und die ganze Zeit reaktiv rassistischen Taten hinterherzulaufen, sondern vielmehr sich von innen heraus zu stärken, sich auf sich zu konzentrieren, ein gewisses Community-Gefühl zu pflegen, ein Gefühl von Zusammensein zu etablieren und darüber hinaus eigene Tools zu erweitern, die eigene Handlungsfähigkeit zu erweitern.

Was hat die Jugendarbeit von EOTO mit Wedding zu tun?

Erstmal hat sie mit Wedding dadurch zu tun, dass wir immer offene Türen haben. Wir versuchen offene Türen zu etablieren, versuchen immer zuverlässig hier zu sein zu den Beratungszeiten und nun auch den Jugend-Space in der Togostraße zu eröffnen, damit EOTO Anlaufstelle, Chill-Raum oder auch eine Plattform für Schwarze Jugendliche wird. Darüber hinaus vernetzen wir uns im Kiez mit anderen Trägern, zum Beispiel machen wir gerade ein Hip-Hop-Projekt mit der Osloer Fabrik, die uns die Tanzräume stellen, und ein Jugendlicher aus dem Kiez kann dann seine Crew und junge Leute unterrichten. Diese Vernetzung im Kiez ist uns sehr wichtig, damit die Kids aus der Nachbarschaft abgeholt werden. Bei der Nachhilfe zu Beispiel sind nur Kids aus Wedding, aus dem Afrikanischen Viertel hier.

Sehr bezeichnend für Wedding ist, dass hier die Kolonialgeschichte so allgegenwärtig ist, und hier gleichzeitig aber auch die größte Schwarze Community wohnt. Und das ist eine so widersprüchliche Lebensrealität, die sich hier in Deutschland und Berlin etabliert hat und die man die ganze Zeit hier sieht. Und ich glaube, dass sich EOTO nun hier niedergelassen hat, ist ein gutes Statement, um dieses koloniale Erbe aufzumischen.

Der Verein möchte weniger von öffentlichen Mitteln abhängig sein und hat ganz aktuell eine Spendenplattform online gestellt. Werdet EOTO Community Supporter*in, hier https://eoto-archiv.de/spenden/

Building Time: Empowerment, Feel- Good- und politische Workshops, Tanzen, Black Youth Friday an jedem 3. Freitag im Monat und vieles mehr! Offene Soziale Beratung: Dienstag 16-18 Uhr Hausaufgabenhilfe: Dienstag und Freitag 16-18 Uhr

Erschienen in der Plumpe #1 (Nov18)