Titelthema – Unser aktuelles Ernährungssystem kann nicht gerade als nachhaltig bezeichnet werden. Im Gegenteil. Massentierhaltung, Monokulturen, Pestizide und Dumpinglöhne sind die Kernelemente einer völlig fehlgeleiteten europäischen Agrarpolitik. Doch seitens der Regierung ist man sich einig: Schuld sind eigentlich die Verbraucher*innen, welche diese ganzen unnachhaltigen Lebensmittel nachfragen. So verkündet Ernährungs- und Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner gegenüber der Presse: «Wer Bio auf den Feldern will, muss Bio kaufen».
Theoretisch richtig, praktisch völlig lächerlich. Ein Einkauf bei Denns Biomarkt im Gesundbrunnen-Bahnhof bestehend aus 1 kg Kartoffeln, 4 Äpfel, 150 g Feldsalat, 1 Liter Hafermilch und 1 Packung Kaffee kostet etwa 12,60 €. Nebenan bei Kaufland zahlt man für den selben Einkauf, bestehend aus konventionellen Lebensmitteln, 6,70 €. Wer Bio kaufen will, muss sich Bio erst mal leisten können.
Diese Aufgabe liegt bei der Politik, und zwar nicht nur, weil Reichtum ungleich verteilt ist. Es sind die Subventionen von EU, Bund und Ländern, die dafür sorgen, dass konventionelle Lebensmittel so billig sind. Die etablierte Agrarsubventionspolitik ist dafür verantwortlich, dass die Agrarindustrie wächst und kleinbäuerliche Strukturen zerstört werden, inklusive nachhaltiger Landwirtschaft. Zaghaft wird nun versucht, das Ganze etwas grüner zu gestalten. Dabei benötigt es eine grundlegende Transformation, um nachhaltige Lebensmittel für alle verfügbar zu machen.
Ein vielversprechender Ansatz für solch eine Transformation ist das Konzept der Agrarökologie. Agrarökologie ist ein Gegenentwurf zur industriellen Landwirtschaft und stellt das aktuelle System und dessen Machtverhältnisse infrage. Die Bewegung, die daraus entstanden ist, will ein sozial gerechtes und nachhaltiges Ernährungssystem schaffen und ein anderes Verständnis von Landwirtschaft, Lebensmittelverarbeitung sowie Vertrieb und Konsum von Lebensmitteln etablieren. Das Ziel ist es, die Rechte von Kleinbäuerinnen und Kleinbauern zu stärken und die enorme Machtkonzentration der Agrarkonzerne zu zerschlagen. Zentral dabei ist auch die ökologische Perspektive. Der Anbau von Lebensmitteln erfolgt nicht in Monokulturen und unter Einsatz von Pestiziden und Kunstdünger, sondern biologisch.
Eine andere Lebensmittelversorgung
Doch auch im Bereich der Lebensmittelversorgung ist es wichtig, alternative Strukturen aufzubauen. Aktuell nehmen große Supermärkte eine zentrale Rolle in unserem Ernährungssystem ein und haben eine enorme Marktmacht. In Deutschland teilen sich Edeka, Rewe, Aldi und der Schwarz-Konzern, zu denen Lidl und Kau and gehören, den Markt auf und fungieren wie eine Art Türsteher für unsere Lebensmittel. Sie bestimmen, was wir essen und sie haben einen großen Einfluss auf die Preispolitik. Um sich als Konsument*innen unabhängiger von den großen Konzernen zu machen und gleichzeitig eine nachhaltige Entwicklung zu unterstützen, liefert die Solidarische Landwirtschaft (SoLaWi) das passende Gegenmodell. Bei der SoLaWi wird nicht das einzelne Lebensmittel finanziert, sondern die Landwirtschaft als solche. Mehrere Haushalte tragen die Kosten eines landwirtschaftlichen Betriebs, wofür sie im Gegenzug dessen Ernteertrag erhalten: regionale, saisonale, biologische und faire Lebensmittel.
«Menschen, die in der Landwirtschaft arbeiten, haben meist nur die Wahl, entweder die Natur oder sich selbst auszubeuten. Ihre Existenz hängt von Subventionen und Markt- bzw. Weltmarktpreisen ab», heißt es auf der Webseite des Netzwerks Solidarische Landwirtschaft. Mit der SoLaWi wer- den herkömmliche Märkte durch solidarische Beziehungen ersetzt und man ist als Landwirt*in den ausbeuterischen Verhältnissen nicht länger ausgeliefert. In Europa versorgen mittlerweile 2.800 Betriebe mit dieser nicht-industriellen, marktunabhängigen Form der Landwirtschaft eine halbe Million Menschen mit Nahrungsmitteln.
SoLaWi im Wedding
Auch im Wedding:
«Das Tolle an der SoLaWi ist nicht nur, dass man es schafft, einem kapitalistischen Zwang zu entgehen, sondern, dass man generell zusammen arbeitet und einander hilft», erklärt Felix.
Felix ist gelernter Koch und Teil einer von mindestens sechs selbstorganisierten SoLaWi- Abnehmer*innengruppen, die im Wedding aktiv sind. Der monatliche Beitrag liegt bei 85€, dafür erhalten die Gruppenmitglieder je nach Saison erntefrische Tomaten, Zucchini, Karotten oder auch Preiselbeeren, mit denen man jeweils 2 – 2,5 Personen versorgen kann. Was angebaut wird und wie hoch der zu zahlende Beitrag ist, unterscheidet sich von Gruppe zu Gruppe und wird basis- demokratisch mit den Erzeuger*innen festgelegt.
«Mal abgesehen von dem tollen Obst und Gemüse, das man bekommt, ist es auch einfach eine großartige Vernetzungsmöglichkeit innerhalb des Kiezes. Ich hab dadurch Leute kennengelernt, mit denen ich sonst wahrscheinlich nie in Kontakt gekommen wäre», so Felix weiter.
Werden Abholstationen zudem noch an politischen Orten wie dem Kiezhaus Agnes Reinhold platziert, können sich ganz neue Synergien ergeben.
«Durch den monatlichen Preis der SoLaWi ist es natürlich immer noch nicht komplett inklusiv. Deshalb haben wir uns dazu entschlossen, subventionierte Portionen für Menschen bereitzustellen, die sich das sonst nicht leisten könnten», merkt Felix an.
Schließlich sei es wichtig, dass es nicht nur zwischen Abnehmer*innen und Erzeuger*innen solidarisch zugeht, sondern auch unter den Verbraucher*innen.
Ein Beitrag der PLUMPE Redaktion, erschienen in der Plumpe #4 (Februar 2020)