Karstadt-Pleite: Betriebe übernehmen statt schließen!

Thema– Mehr als 1000 Beschäftigte bei Galeria-Kaufhof und Karstadt in Berlin sind in Folge der Geschäftemacherei durch die Signa Holding, ihres Zeichens umtriebig auf dem Immobilienmarkt, in der aktuellen Krise von Entlassung bedroht.

Auch am Leopoldplatz sollte das Karstadt Warenhaus schließen. Der Berliner Senat entschied sich für einen Deal mit dem Multimilliardär René Benko (Signa Holding) durch eine Zahlung von 45 Millionen Euro um die bedrohten abgewirtschafteten Filialen zu erhalten. Vornehmlich ginge es darum, den «Handelsstandort Berlin» nicht weiter zu schwächen. Laut einem Beitrag des rbb plädiere Ramona Pop (Bündnis 90/Grüne) zusätzlich dafür, die Kaufhäuser moderner und attraktiver zu gestalten. Es müsse mit lokalen Akteuren zusammengearbeitet werden, um mehr «Erlebnis-Charakter» zu schaffen. Doch welche Alternativen bieten sich jenseits von Marktlogik und Verwertungszwang für die Beschäftigten, wenn mitten in der Wirtschaftskrise Arbeitsplätze durch die Geschäftsleitung rationalisiert oder Kurzarbeit verordnet werden?

Ein Interview mit Elmar Wigand, Pressesprecher der Aktion gegen Arbeitsunrecht e.V.. Diese organisierte am 20./21. Juni 2020 eine juristisch-politische Fachkonferenz zum Thema: «Worker’s Buy-Out: Betriebe übernehmen statt schließen!».

Warum sollte die Belegschaft auf die Idee kommen, den eigenen Betrieb auch selbst zu führen?

Zunächst einmal ganz simpel, um individuell der Arbeitslosigkeit zu entgehen und kollektiv, um eine intakte, funktionierende Belegschaft zusammen zu halten. Die ist das A und O für solche Pläne. Wenn die Stimmung in der Belegschaft ohnehin zerrüttet ist und die meisten Leute die Nase voll haben, dann würde eine Übernahme keinen Sinn machen. Andersherum gibt es für das Wirtschaften keine wichtigere Ressource als eingespieltes, motiviertes Personal.

Welche Vorraussetzungen braucht es dafür und gibt es aktuelle Beispiele?

Ich wohne in Köln und in vielen Orten wie in Brühl bei Köln war der Kaufhof eine zentrale Institution mitten in der Stadt. Wenn sie wegfällt und der riesige Ort verödet, wird das die ganze Innenstadt runter ziehen. Die Vereinsamung und Entsozialisierung nimmt weiter zu. Deshalb müsste auch die Kommune ein Interesse am Erhalt eines lebendigen Kaufhauses haben und sich möglicher- weise beteiligen. Was viele gar nicht wissen: Die Kaufhäuser waren seit den 1970ern die einzige nennenswerte gewerkschaftliche Bastion im Einzelhandel. Jetzt ist die Lage schwierig. Karstadt / Quelle wurde ja durch den kriminellen ehemaligen Starmanager Thomas Mid- delhoff systematisch stranguliert. Er hat die Immobilien an einen Fonds verscherbelt, so dass Karstadt sie zu überhöhten Preisen zurückmieten musste. Bei Galeria Kaufhof könnte es ähnlich sein. Hier müsste Berlin mit Vorkaufsrecht oder gar Enteignung die Grundlage schaffen, damit eine Genossenschaft oder ein Nachbarschaftsverein den Laden über- nehmen kann. Ich glaube, dass es ein ganz tiefes Bedürfnis nach einer echten Alternative gibt.

Auf eurer Konferenz ging es um Genossenschaftsmodelle, ist das eine Form in der Arbeiter*innen im Kapitalismus den Betrieb sozialer und gerechter organisieren können?

Es ist sicher kein Selbstläufer. Edeka, mit über 380.000 Beschäftigten der größte private Arbeitgeber Deutschlands, und Rewe sind formell auch Genossenschaften. Oder die Sparda-Banken. Aber unter der Karosserie sind sie turbokapitalistische Maschinen, denken wir etwa an systematische Betriebsratsbekämpfung bei Edeka und der Sparda-Bank, denken wir an systematisches Lohndumping bei Netto, das zu Edeka gehört. Die Lage der Verkäufer*innen dort ist einfach traurig.

Demokratie muss lebendig gehalten werden und sie bedeutet Auseinandersetzung, Wettstreit der Ideen, Beteiligung. Dazu gehört auch: Transparenz, Checks and Balance. Die Form der Genossenschaft oder des Vereins bietet zumindest die Möglichkeit.

Was sollten Kolleg*innen und aktive Belegschaften tun, wenn sie Interesse an einem «Buy-out» haben?

Belegschaften können sich gern mit der aktion ./. arbeitsunrecht in Verbindung setzen. Wir haben durch unsere Konferenz Kontakte und Expertise zum Thema Betriebsübernahme durch die Belegschaft aufgebaut, die wir gerne teilen. Leider ist Deutschland, was Betriebsübernahmen und Arbeiterkontrolle angeht, ein Entwicklungsland, wenn wir die rechtliche Lage hier etwa mit Italien vergleichen. Dort gibt es mit dem Marcora-Gesetz seit 1985 das verbriefte Vorkaufsrecht von Belegschaften für ihre Betriebe, wenn der Chef in den Sack haut oder pleite geht. Oder im Knast landet. Oder untertaucht (lacht). Wir bräuchten, um den notwendigen politischen Druck zu erzeugen, mal Leute, die vorpreschen. Vielleicht auch mal den Betrieb besetzen. Was hätte man mit den Corona-Rettungsmilliarden alles machen können! Am Ende bekommt z.B. die Lufthansa 9 Milliarden – dafür hätte der Staat die Airline komplett kaufen können!

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Kontakt: kontakt@arbeitsunrecht.de, Tel. 0221 999 690-02

Ein Interview mit Elmar Wigand, Pressesprecher der Aktion gegen Arbeitsunrecht e.V. in der PLUMPE #6 (Sept 2020)