«Klima der Angst» – Trotz Pandemie schiebt Berlin wieder ab

Weddinger Vereine fordern sofortigen Abschiebestopp

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Salam und Yaar sind Teil eines Netzwerks von Trägern, die sich im Wedding für Geflüchtete engagieren. Die Kiezkommune sprach mit ihnen über die Aufhebung des coronabedingten Abschiebestopps.

Durch das Coronavirus kam der Reiseverkehr im Frühjahr weltweit zum Erliegen, Abschiebungen wurden für kurze Zeit ausgesetzt. Doch mit den im Sommer erfolgten Lockerungen begründet das Land Berlin auch die Wiederaufnahme von Abschiebungen zum 15. Juni 2020. Pressemitteilungen des Berliner Flüchtlingsrats berichten von zwei Massenabschiebungen im Juli: unter den etwa 200 Betroffenen sind viele Rom*nja-Familien mit Kindern, Menschen mit Behinderungen, wie auch eine krebskranke Frau, deren Chemotherapie noch nicht abgeschlossen war. Zusätzlich brisant dabei ist, dass das Zielland Moldawien vom Robert-Koch-Institut als Risikogebiet geführt wird.

Assietou kam in den 90er Jahren mit ihrem behinderten Sohn nach Deutschland. Sie berät seit Jahren Geflüchtete in Asylfragen und war bis vor kurzem Praktikantin bei Salam. Der Verein im Weddinger Brunnenviertel wurde 2015 von Syrer*innen gegründet und ist heute eine stadtweit bekannte Anlaufstelle für Migrant*innen verschiedener Herkünfte. Unter den von Assietou betreuten Menschen sind auch Rom*nja aus Serbien. Das Land gilt seit 2014 als sicherer Herkunftsstaat, der Anteil positiver Entscheidungen nach Art. 16 GG lag 2018 bei nur 1,5%. Der Zentralrat der Sinti und Roma kritisiert die Einschätzungen des Außenministeriums, das «eine staatliche Diskriminierung von Roma im Westlichen Balkan [bestreitet] und ignoriert». Auch bei den Ämtern gäbe es Vorurteile gegenüber Rom*nja, meint Assietou. Allgemein würden Polizeikontrollen in den Heimen zu unmöglichen Zeiten stattfinden, der Stress sei für Betroffene schwer auszuhalten: «Sie haben Angst. Sie können nicht schlafen.» Ohnehin sei der Druck groß, möglichst schnell finanziell unabhängig zu werden und eine eigene Wohnung zu finden. Einsamkeit, die Trennung von
Angehörigen und fehlende Kontakte würden häufig zu psychischer Belastung führen. Die Pandemie wirke hier «wie eine Kettenreaktion mit Domino».

Keine Chance auf faire Behandlung

«Was in den letzten Tagen passiert ist, ist sehr schade», sagt Ibrahim von Salam in Bezug auf die Massenabschiebungen nach Moldawien. Antragssteller*innen aus dem Irak, Afghanistan oder den als sicheren Herkunftsstaaten klassifizierten osteuropäischen Ländern hätten schlechte Chancen, einen Aufenthaltstitel gewährt zu bekommen. Berlin beteilige sich seit Juli koordiniert mit anderen Bundesländern wieder an Sammelabschiebungen. Andererseits verpflichtete Berlin sich zur Aufnahme von 142 Geflüchteten aus Griechenland, es gäbe die Bereitschaft, weitere Menschen aufzunehmen. «Ich hoffe das bleibt ausgeglichen. Diese Klassifizierung [als sicherer Herkunftsstaat] gefällt mir eigentlich nicht», meint Ibrahim, «Ich will dass alle Leute hier fair behandelt werden.» Auch das Aufkommen einer Diskussion über das Aussetzen des Abschiebestopps nach Syrien sei für ihn «ein großes Fragezeichen» gewesen: «Syrien ist weit weg von Stabilität.»

«Sie haben angst.
Sie können nicht schlafen.»

«Wir sind grundsätzlich gegen Abschiebungen», meint Sabine von Yaar, «weil Afghanistan kein sicheres Herkunftsland ist.» Der Verein, der sich für Afghan*innen engagiert, er- öffnete 2016 ein Büro im Wedding, seit 2018 werden Räumlichkeiten im Sprengelhaus genutzt. Als 2016 die EU ein Abkommen schließt, um Abschiebungen nach Afghanistan wieder aufzunehmen, wird auch Yaar aktiv, um sich entschieden gegen diese Politik zu stellen. Als Teil des Berliner Bündnisses gegen Abschiebungen nach Afghanistan plant man jahrelang Demonstrationen, stellt Forderungen für eine gerechtere Asylpolitik.

Engagement gegen unmenschliche Politik

«Deutschland schiebt ab. Und dass das hier [in Berlin] seltener ist (…), das wird natürlich von uns auch vermittelt. Aber wie man an dem Fall jetzt im März sieht, es kommt vor.»

Wie die taz berichtet, ist bei der letzten Sammelabschiebung am 11. März auch ein Afghane aus Berlin dabei, der Nebenkläger im Prozess gegen einen Polizisten ist, der ihn 2017 außerhalb des Dienstes rassistisch beleidigte und zusammenschlug. In Folge des Angriffs verschlechterte sich sein psychischer Zustand. Dass es jemanden getroffen habe, der krank ist und von einer Anwältin vertreten worden war, erschüttere die Community sehr, sagt Sabine: «Es erzeugt ein Klima der Angst.»

Die Bundesrepublik hat seit 2017 keine Botschaft in Afghanistan, seit- dem das Gebäude durch einen Anschlag massiv beschädigt wurde. Terroranschläge der Taliban und Bombardements des US-Militärs fordern jedes Jahr zivile Opfer in Rekordhöhe. Javid Faisal, Sprecher des afghanischen Nationalen Sicherheitsrats, sprach nach einem Anschlag der Taliban im Juni von der tödlichsten Woche seit Beginn des 19 Jahre andauernden Konflikts. Im Mai schaltete Yaar eine Pressekonferenz auf Youtube, nachdem durch einen Anschlag auf eine Geburtsklinik in Kabul zahlreiche Menschen getötet oder verletzt wurden:

«Selbst für ein vom Krieg und Terror geprüftes Land wie Afghanistan ist dieser niederträchtige feige Angriff eine neue Dimension des Grauens. Ein Angriff auf Gebärende, auf Neugeborene, auf wehrlose Patientinnen ist zutiefst verdammenswert.» Unter den Forderungen des Vereins ist weiterhin die «sofortige Aussetzung aller Abschiebungen nach Afghanistan».

Neben dem politischen Engagement des Vereins werden auch Rechts- und Sozialberatungen, sowie ein wöchentlicher Community-Treff angeboten. Seit dem Lockdown sei der Bedarf sehr hoch gewesen, weil Behörden schwer erreichbar waren und Fragen zu Kurzarbeitergeld und der alltäglichen Lebensbewältigung aufkamen. Im März richtete Yaar über die eigene Website deshalb einen Blog auf Farsi ein, um alle wichtigen Informationen übersetzt in Umlauf zu bringen. In einem gemeinsamen Projekt mit Salam finden wöchentliche Schulungen zu Arbeitsmarktintegration statt. Yaar und Salam vermitteln darüber Geflüchteten ehrenamtliche Tätigkeiten, je nach eigenem Interesse: «Wir wollen nicht dieses Helfersyndrom fördern, es muss Teilhabe sein», sagt Sabine. Kontaktbarrieren könnten am besten gebrochen werden «wenn man eine gemeinsame Geschichte macht.»

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Salam Kultur- und Sportclub e.V.
Buttmannstr. 9A, 13357 Berlin
Beratungszeiten: Mo–Fr10–17Uhr
https://salamkulturclub.de


Yaar e.V.

Sprengelstr. 15, 13353 Berlin
Beratung zur Zeit ausschließlich mit Termin:
 Mo 13–17 Uhr, Do 9–13 Uhr http://yaarberlin.de/terminbuchung

Dieser Beitrag der Redaktion in Kooperation mit der Kiezkommune erschien in der Plumpe #6 (September 2020)

Foto: „Gangway“ by mrhayata is licensed under CC BY-SA 2.0