Yalla, Migrantifa!

Thema–Organisierte migrantische Gegenwehr aus den Berliner Kiezen in Zeiten des Rechtsrucks. Ein Plumpe-Interview mit Leila:

Warum eigentlich Migrantifa?

Migrantifa hat sich unter anderem als Reaktion auf die Terrorattacke in Hanau gegründet. Die Notwendigkeit für antifaschistische migrantische Selbstorganisierung war natürlich davor auch schon da, aber das Ereignis war nochmal ein Katalysator für das bundesweite zusammenfinden.

Eben auch, weil viele migrantische Linke Ausschluss in weiß/ deutschen linken Strukturen erfahren haben und sich nicht angesprochen fühlen von einer Politik, die sich nicht an die Lebensumstände, Bedürfnisse und Kämpfe unserer Leute richtet. Gleichzeitig haben wir eine migrantische Linke, die oft nur eine Exilpolitik betreibt und durch die sich viele Leute, die hier aufgewachsen sind, nur teilweise identifizieren können und sich weniger im Zusammenhang der Exilstrukturen oder der Herkunftsländer ihrer Eltern sehen. Deswegen ist Organisierung, die hier in Deutschland in unserem Alltag verankert ist, unerlässlich. Natürlich ist es notwendig unsere Kämpfe gemeinsam mit der weißen/deutschen Linken zu führen, aber die Grundlage dafür ist, auf Augen- höhe zu stehen und in seinen Kämpfen ernstgenommen zu werden.

Gibt es aktuelle oder historische Vorbilder für euch?

Sicher, wir sind nicht die ersten die die Notwendigkeit von einer radikalen migrantischen Selbstorganisierung sehen. Gerade beschäftigen wir uns zum Beispiel viel mit Antifa Gençlik. Eine Kreuzberger Gruppierung der späten 1980ern bis 90er Jahre, die sich aus der Notwendigkeit heraus gegründet hatte, die vielen Naziangriffe abzuwehren und dafür eine Organisierung anzubieten. Wir müssen uns in einer Kontinuität zu diesen Kämpfen sehen. Auch die US- amerikanische Black Panther-Bewegung der 60er/70er Jahre ist für uns interessant und obwohl die Bedingungen in den USA andere sind als hier, können wir viel von ihnen lernen. Besonders in Bezug auf migrantische Menschen, die unsere Probleme durch Geld, Karrieren und von oben herab lösen wollen und den weißen/deutschen Linken, die uns unsere Art zu leben vorgeben wollen. Wir müssen etwas Eigenes schaffen, was auf die Bedürfnisse unserer Leute ausgerichtet ist und da spielen zwei Aspekte eine große Rolle: Community Arbeit und Selbstverteidigung.

Habt ihr bereits Ziele oder konkrete Forderungen formuliert?

Wir arbeiten gerade daran gemeinsame Forderungen aufzustellen. Wir diskutieren aktuelle Themen wie z.B. die Abschaffung der Polizei. Für viele ist klar, dass der Staat Migrant*innen nicht schützt und dass faschistische Strukturen den Staatsapparat infiltriert haben (siehe Neukölln-Komplex*). Es ist ja nicht nur der Staat, der uns nicht schützt, auch faschistische Gruppen greifen uns (gedeckt von Polizei und Verfassungsschutz) direkt an. Für uns ist klar, dass der Verfassungsschutz und die Polizei abgeschafft gehören. Gleichzeitig denken wir, dass in dem gegenwärtigen System, in dem wir leben, dem Kapitalismus, einfach nur die Polizei abzuschaffen die Probleme nicht lösen wird. Wir streben daher eine ganzheitliche Umwälzung der Gesellschaft an, die den Kapitalismus, die Ausbeutungs- und Eigentumsverhältnisse überkommt.

Was macht ihr aktuell?

Bis jetzt haben wir viele Aktionen organisiert, beginnend mit dem 8. Mai 2020 (Tag des Zorns). Seitdem gab es Kundgebungen u.a. zu Antifaschismus, Pressefreiheit und Polizeigewalt. Wir unterstützen ebenfalls aktiv das widerständige Gedenken an den Anschlag und die Opfer von Hanau. Gleichzeitig ist uns natürlich auch klar, dass purer Aktionismus nicht reicht und dass wir mehr Arbeit für und mit den Communities machen müssen. Deshalb arbeiten wir gerade an einem langfristigen Projekt in Neukölln. Generell suchen wir in Zukunft noch stärker die Vernetzung, um nicht nur Kämpfe gegen Rassismus und Faschismus zu führen sondern diese Kämpfe zu verbinden, denn die Zeiten die auf uns zukommen, werden sicher keine leichten sein


Dieses Interview der Redaktion erschien in der PLUMPE #6 (Sept. 2020)