Thema– Die sogenannten «Corona- Leugner*innen» also. Anfangs belächelt, nun seit Wochen in aller Munde: Rasant entwickelt sich eine diffuse Mischbewegung aus vorgestrigen Reichsbürger*innen, verschwörungsgläubigen Antisemit*innen, Esoteriker*innen oder Hippies, aus AfD- und Trump-Fans sowie allem was die neue und alte Rechte an Marschpersonal aus den Fußballstadien oder sächsischen Kleinstädten aufbieten kann.
Und ja, zwischen die Tausenden, die sich nun fast wöchentlich ohne Maske und Moral in deutschen Innenstädten versammeln, geriet anfangs sicherlich auch mal jemand, die*der ernsthaft um Job oder Besuchsrecht bei den alten Eltern fürchtete. Wer nach den Entwicklungen der letzten Wochen aber weiterhin diese Aufmärsche besucht, gibt jenen rechten Akteur*innen Auftrieb, die dabei sind, die größte rechte Mobilisierung des letzten Jahrzehnts zu erschaffen.
Früh angefangen wurde auch in Berlin: Bereits Anfang März, als den meisten von uns das Ausmaß der Covid-19-Pandemie noch gar nicht bewusst geworden
war, organisierte die o.g. «Kommunikationsstelle» – kurz: KDW – die ersten sog. «Hygienedemos» auf dem Rosa-Luxemburg-Platz. Auch hier tummelten sich schon früh AfD- und NPD-Politiker und Schläger, unbehelligt von der Leitung um Anselm Lenz, vormals u.a. taz-Autor, und Hendrik Sodenkamp, ehemals mit- wirkend bei der Volksbühne. Die Biographien der beiden waren den bürgerlichen Medien schon früh gerne dienlich, um den Protesten immer auch einen linken Anstrich andichten zu können.
Das Quasi-Parteiorgan der KDW, die in der Weddinger Plantagenstraße zusammengeschusterte und zunehmend schrille Zeitung (laut eigenen Angaben bis zu 500 000 Stück Auflage!), setzt regelmäßig Maßnahmen gegen die Verbreitung von Corona mit der Naziherrschaft gleich, faselt in neurechter Tradition von „Merkeldiktatur“ und inszeniert sich mit Vorliebe als das letzte Bollwerk des Liberalismus gegen die Abschaffung des deutschen Grundgesetzes. Über den handfesten Rechtsruck der Bewegung, die sie mitschufen, wird kein Wort verloren; der Schulterschluss mit allerlei «alternativen» Medien – vornehmlich rechte oder spinnerte Youtuber – ist alles andere als eine Abgrenzung. Nichts über die besagten Kameraden, nichts über die*den geifernde*n Kleinbürger*in aus der Pegida-Ecke, nichts über Verschwörungstheoretiker*innen, die Corona für einen gewieften Schachzug von Bill Gates (oder wem auch immer) halten. Im Gegenteil, es werden Mythen über die bezahlte Antifa verbreitet, Teilnehmer*innenzahlen hochgelogen bis sich die Balken biegen, Verschwörungsmythen aktiv befeuert.
Dabei wirkt es so unnötig, sich so hanebüchene Thesen auszudenken: Ja, wir alle leben in Umständen in denen wir geknechtet, erniedrigt, verächtlich sind – aber es sind nicht die zwei, drei einzelnen Menschen, die nun auf Plakaten bei den Coronademos hochgehalten werden, die uns unterjochen. Nein, auch wenn Bill Gates weg ist, ändert sich nichts: Es sind die kapitalistischen Verhältnisse, unter denen wir alle in Konkurrenz zueinander gezwungen werden, Verhältnisse, die gleichsam Armut wie Reichtum produzieren, Verhältnisse, in welchen die Konzentration des Kapitals zugunsten Weniger fortschreitet, ob sie Bill Gates, Jeff Bezos, oder Samwer (1) heißen. Die Führungsmannschaften aber auszuwechseln ist keine Lösung: ab- schaffen müssen wir die ökonomischen Bedingungen, die es überhaupt ermöglichen, dass sich Führungsmannschaften herausbilden. Deshalb ist das, was wir auf den Straßen sehen Eskapismus: die wirkliche Krise lautet Kapitalismus.
Wer sich hierzulande lauthals über den «faschistischen» Mundschutz und Reisewarnungen auslässt oder den ewig falschen Vergleich mit einer leichten Grippe bringt, spuckt den abertausenden Coronatoten der ärmeren Länder dieser Welt ins Gesicht. Die Folgen kaputtgesparter Gesundheitssysteme (bedingt durch die auch von Deutschland verordnete EU-Austeritätspolitik) und eines global auseinanderklaffenden Reichtumsgefälles zeigen sich dort gerade ganz hart und ungeschminkt. Und: Wer sehenden Auges bei den Nazis mitmarschiert… ist letzlich auch ein Nazi.
(1) Die Internetmilliardäre, welche sich mal eben die Weddinger Uferhallen gegönnt haben und dort mit Glaspalast-Plänen ankommen.
Foto: Matthias Berg Dokumentarfotografie (Blog)
Dieser Beitrag der Redaktion erschien in der PLUMPE #6 (Sept. 2020)