Vor 100 Jahren im Wedding

Broschürenvorstellung – In diesem Jahr jährte sich der Matrosenaufstand vom November 1918 zum 100. Mal. Am 9.11.1918 dankte der Kaiser ab, Karl Liebknecht rief in Berlin die Freie Sozialistische Republik aus. Das Gemetzel des I. Weltkriegs fand sein Ende. Auch im Wedding wurde im Vorfeld für «Frieden, Freiheit und Brot» mobil gemacht. Es waren hoffnungsvolle Tage. Wir präsentieren daher Auszüge aus der Anfang Januar in Berlin erscheinenden Broschüre: «Alle Macht den Räten» (Im Wedding erhältlich z.B. im Café Cralle oder Kiezhaus Agnes Reinhold)

Die zweite große Massenaktion der Arbeiter*innen gegen den Krieg und die sich verschärfende Lebensmittelversorgung erfolgte dann im April 1917. Der Winter 1916/1917 – auch bekannt als Kohlrübenwinter – hatte den Arbeiter*innen nochmal deutlich gezeigt wohin es geht. Krieg findet eben nicht nur an der Front statt, sondern auch die Zivilbevölkerung litt an der schlechten Versorgungslage mit Lebensmitteln und Brennstoffen. So streikten im April 1917 in Berlin knapp 200.000 Arbeiter*innen für drei Tage lang. Offizieller Auslöser dabei war die Senkung der Brotration. Im Berliner Bezirk Wedding versammelten sich 5000 Arbeiter*innen am ersten Tag des Streikes im Humboldthain. Es gab kurze Redebeiträge, u. a. von einem Vertrauensmann der Firma Haß & Wrede, Osloer Straße 116a. Nach einer halben Stunde formierten sie unter Hochrufen auf die internationale revolutionäre Sozialdemokratie einen Demonstrationszug und versuchten in Richtung Innenstadt vorzudringen. Dieses Vorhaben scheiterte allerdings an der preußischen Polizei, die wieder mit hoher militärischer Genauigkeit auf den Streik vorbereitet war und die meisten Demonstrationszüge relativ leicht zerschlagen konnte. Es beteiligte sich zwar eine große Zahl der Arbeiter*innen an dem Streik, doch nur ein Bruchteil von diesen nahm dann auch an öffentlichen Versammlungen teil. Allerdings zogen immer wieder im Verlauf des Streiks Gruppen von bis zu mehreren Hundert Jugendlichen durch die Straßen und nahmen sich, was Ihnen sowieso gehörte. Plünderungen oder besser gesagt proletarische Aneignungen waren an der Tagesordnung. […]

„Berlin als Industriestadt – und der Berliner Norden im Besonderen – waren damals ein wichtiges Standbein für den Imperialismus des Deutschen Reiches“

Im November 1917 erfolgten bereits die nächsten Massenaktionen in Berlin gegen den Krieg und für den Frieden. Hier soll uns die zeitgenössische Darstellung eines Genossen vom 25. November 1917 genügen: „Fast überall trat die Polizei in Tätigkeit und sperrte die Straßen. Aber den Massen gegenüber, die oft die ganze Straßenbreite einnahmen, waren die Beamten machtlos. Die Demonstranten durchbrachen einfach die Schutzmannsketten und setzten ihren Weg fort, Hochrufe auf den Frieden und Liebknecht ausbringend. Auf dem Wege vom Gesundbrunnen nach der Invalidenstraße mussten die Genossen viermal die Schutzmannsketten durchbrechen. Ähnlich war es an anderen Stellen der Stadt. Immer fanden sich die da und dort zersprengten wieder zusammen. Aus den Fenstern sahen Neugierige und stimmten den Friedensdemonstranten freudig zu. An einigen Stellen kamen Arbeiter aus dem vierten Stock ihrer Wohnung herunten und schlossen sich den Genossen an.“ Die gleiche Quelle gibt die Zahl von 5 Millionen Kriegsopfer zu diesem Zeitpunkt an (davon 3,1 Millionen verwundet, 0,65 gefangen und 1,25 tot). […]

Erschienen in der Plumpe #1 (Nov18)