Von der Straße aufs Dach an die Wand

Polizei beobachtet und filmt von einem verzierten Dach in der Schulstraße rund um den Leopoldplatz die antikapitalistische Kiezdemonstration am 30.04.2018

Interviw – Ihr habt sie sicher alle schon mal gesehen: Kritische Botschaften, gut sichtbar als fette Buchstaben an den Weddinger Mietshäusern: «Wohnraum ist kein Ware», «Fuck Frontex!», «Hartz4 Essen Seele auf», «Still not loving Gentrification»…
Dankenderweise wurde der Redaktion für diese Ausgabe ein Interview mit den Künstler*innen hinter den zugigen Werken zugesandt, dass wir hier gerne für euch abdrucken. 

Wie fällt man da oben nicht runter?

Es ist eigentlich ziemlich einfach, wenn man bei allen fünf Sinnen ist. Sind ja alles größtenteils Flachdächer. Bei Schiefdächern oder schiefen Dachluken muss man ein Stück vorsichtiger sein, das ist nur vielleicht ein klein bisschen lebensmüde. Keine Sicherung! Denn beim «Rollen» selbst liegt man ja mit 4/5 des Körpergewichts auf dem Dach und 1/5 über der Dachkante. Da passiert nichts, du liegst sicher auf, guckst runter und atmest frische Dachluft.

Warum diese Aktionsform und wie würdet ihr diese selber beschreiben?

Unterscheiden könnt ihr da zwischen «Roll-downs» (von Oben nach Unten) und «Roll-ups» (Von Unten nach Oben). Subsummiert wird das auch unter dem Fachbegriff: Rollersprüche. Patentierungswürdig, oder falls der Duden irgendwann mal anfragt. Beim «Rollern» hat man auch nicht viel Platz, um ein Pamphlet oder eine theoretische Abhandlung an die Wand zu bringen. Da muss man sich halt’n Kopp machen.

Warum riskiert ihr das?

Die meisten von uns kommen aus der Graffiti-Szene und haben es also in ihrer «DNA», ihre Kürzel irgendwohin zu rotzen. Das Hauptziel ist, viel zu malen, vor allem an Stellen, die mit einem Risiko verbunden sind – natürlich auch als Selbstbestätigung und um mit der Szene zu kommunizieren. Nur hier gehts um dicke Buchstaben verknüpft mit sozialen politischen Botschaften. Adressat*in ist das Berliner Stadtpublikum. Ziel ist es, den öffentlichen Raum mit Inhalten zu füllen. Als Gegengewicht zu der dominierenden Bullshit-Werbung, die uns die ganze Zeit irgendwas verklickern und aufschwatzen will.

Warum unbedingt im Wedding und nicht in Mitte?

Naja, kurze Wege, Faulheit und Wedding ist halt einfach bombe. Man kriegt hier alles, man hat alle Leute am Start aus den verschiedensten Ecken der Welt. Außerdem ist es noch relativ ruhig, aber irgendwie auch im Anrollen. Die Megabauprojekte sehen wir überall. Investitionsmöglichkeiten werden an jeder Ecke gewittert. Mieten explodieren und das ist schon etwas was drückt. Das muss irgendwie raus und raus kommts am besten, wenn man ne fette Brandschutzwand vollkleckert.

Gibt es für euch auch andere Formen um im Alltag zu kommunizieren?

Natürlich! Es gibt tausende Kommunikationsformen. Du nimmst dir den Raum und füllst ihn mit bunten Farben, dicken fetten Blockbuchstaben oder einfach mit wilder Kreativität. Ob nun mit Sprühdosen, Farbrollern, Feuerlöschern, Farbspritzen ausm Bamarkt vom Gartenbedarf oder Stencil-Schablonen, Poster, Sticker…alles mögliche. Wir fahren darauf ab, wenn eine weiße, beige, sterile «Krankenhauswand», die eine*n beruhigen soll, mit Inhalt, Farbe und Zeug gefüllt wird. Das macht das alles lebendig, was hier passiert und inspiriert, weiterzumachen..

Erschienen in der Plumpe #1 (Nov18)