Dekolonisiert euch!


Themen – Von der kolonialen Amnesie Deutschlands und welche Rolle Straßennamen dabei spielen (können) um sie abzubauen. Ein Beitrag von Tahir Della (ISD Bund e.V.)

Nach einem jahrelangen Kampf werden 2019 im Berliner Wedding Straßen umbenannt, die bislang die Namen von Kolonialakteuren tragen und zukünftig Menschen ehren, die vor allem im Anti-Kolonialen Kampf standen.

Am 11.November dieses Jahres ist das 100-jährige Jubiläum des Endes des 1. Weltkrieges und damit ist auch das Ende des deutschen Kolonialprojekts verbunden. Deutschland hat mit der Errichtung der Festung «Großfriedrichsburg» bereits im Jahre 1683 den Eintritt in das europäische Koloniale Projekt vollzogen. Zunächst waren diese Aktivitäten damit verbunden, von Goldvorkommen an der sogenannten «Goldküste», dem heutigen Ghana, zu profitieren. Als das nicht eintraf, konzentrierte sich Brandenburg-Preußen auf den transatlantischen Versklavungshandel, der von Anfang an Sinn und Zweck der Festung war.
Was die Anzahl der von Brandenburg-Preußen versklavten Menschen angeht, hat die Historikerin Andrea Weindl nicht weniger als 110 Transporte mit knapp 19.000 Menschen gezählt. Diese Zahl stellt zwar einen geringeren Anteil in der vier Jahrhunderten andauernden Zeit des Transatlantischen Versklavungshandel dar, sollte aber allein aus moralischen Gründen nicht vernachlässigt oder gar klein geredet werden. Denn das würde auch ausblenden, dass für eine kurze Zeit, nämlich in ihrem aktivsten Jahr 1693, in dem nicht weniger als 6.000 Männer, Frauen und Kinder entführt werden, die Flotte Brandenburg-Preußens mit den großen Kolonialmächten durchaus «konkurrieren» kann.

1721 wurde die Festung «Großfriedrichsburg» an die Niederlande verkauft und damit wurde die Koloniale Expansion Deutschlands vorerst gebremst. 1884/85 war das deutsche Reich im Zuge der sogenannten Kongokonferenz in Berlin (oder Westafrika-Konferenz) wieder offiziell im Besitz von Kolonien auf dem Afrikanischen Kontinent, in China und im Pazifik. An dieser Konferenz nahmen die europäischen Staaten wie Österreich-Ungarn, Belgien, Dänemark, Frankreich, Großbritannien, Italien, Niederlande, Portugal, Russland, Spanien und Schweden-Norwegen teil, aber auch die USA und das Osmanische Reich.

Der Historiker Jürgen Zimmerer hat vor Kurzem im Zusammenhang mit dem europäischen/deutschen Kolonialismus von einer Kolonialen Amnesie gesprochen. Die Spuren dieser einschneidenden Epoche sind jedoch sowohl im öffentlichen Raum wie an Straßennamen, in Museen und Sammlungen, als auch an den immer noch wirksamen globalen Machtverhältnissen sichtbar und spürbar. Vor allem im Zusammenhang mit den im Kolonialen Kontext entstandenen Straßennamen wird aber deutlich, dass wir nicht nur von einer Kolonialen Amnesie sprechen sollten, sondern von einer anhaltenden Verweigerung, nach über hundert Jahren die Verantwortung für eines der größten Verbrechen in der Menschheitsgeschichte zu übernehmen.

«(Es) darf aber nicht aus den Augen verloren werden, dass es nicht nur um das Austauschen von Straßenschildern geht, …»

Allein in Berlin gibt es zahlreiche Straßen und Plätze, die nach Kolonialen Verbrecher*innen benannt sind und diese ehren und davon zeugen, wie problematisch diese Namen sind: Die Wissmannstraße in Neukölln ist nach Hermann Wilhelm Leopold Ludwig Wissmann benannt, der Reichskommissar in «Deutsch-Ostafrika» war. Die Lüderitzstraße, ehrt den Bremer Kaufmann Adolf Lüderitz, der die Nama an der Küste des heutigen Namibia durch Betrug um einen großen Teil ihres Landes brachte. Die Petersallee ist benannt nach Carl Peters, der auch als «Hänge-Peters» und in Tansania als mkono wa damu (blutige Hand) bekannte wurde und durch Betrug und Gewalt die Kolonie «Deutsch-Ostafrika» etablierte. Diese Straßennamen und Plätze finden sich in zahlreichen anderen deutschen Städten wie Bremen, Hamburg, Düsseldorf, Essen, Hannover und München und zeigen, wie weitverbreitet dieses Problem tatsächlich ist.

Nach jahrelangem politischen Kampf vor allem von der Schwarzen Community und der Zivilgesellschaft hat der Kulturausschuss des Bezirks Berlin-Mitte 2018 empfohlen, die Lüderitzstraße, den Nachtigalplatz und die Petersallee im sogenannten «Afrikanischen Viertel» – welche bislang die Begründer*innen des deutschen Kolonialreichs in Afrika ehrten – zur Würdigung des afrikanischen Widerstandskampfes gegen Kolonialismus, Rassismus und Apartheid umzubenennen. Die Entscheidung, die genannten Straßen umzubenennen ist natürlich nicht nur für Berlin wegweisend, sondern kann auch für die Debatten in anderen Kommunen wichtig werden.

Der Erfolg liegt dabei nicht nur in der Umbenennung, sondern auch darin, dass im Zuge der Umbenennung die Menschen geehrt werden sollen, die gegen die Kolonisierung Widerstand geleistet haben oder sich in den Ländern gegen Rassismus wehrten, in denen die bisherigen Namensgeber die Kolonisierung vorangetrieben haben. So werden in Zukunft der Nama-Widerstandführer Cornelius Fredericks, der aus der widerständige Familie Bell aus Kamerun stammt und gegen die Deutschen gekämpft hat, die Antiapartheid-Kämpferin und Herero-Nationalheldin Anna Mungunda und die Maji-Maji-Widerstandsbewegung gegen die deutschen Kolonialherren (1905-07), die mehr als 20 Gemeinschaften des heutigen Tansanias vereinte, gewürdigt. Die bisherige Petersallee wird dabei namentlich in Maji-Maji-Allee und Anna-Mungunda-Allee geteilt.

Nach der Umbenennung des Gröbenufers wird damit der Prozess fortgesetzt, einen Perspektivwechsel voranzutreiben und die Stimme derjenigen sichtbar und hörbar zu machen, die von Kolonialismus unmittelbar betroffen waren. Gröben war verantwortlich für die Errichtung des Sklaven- und Handelsforts «Groß-Friedrichsburg» an der Küste des heutigen Ghana und hat somit die Grundlagen des Deutschen Kolonialprojekts gelegt. Das Ufer heisst seit 2010 May-Ayim-Ufer und rückt damit eine zentrale Aktivistin in den Mittelpunkt, die mit ihrer Arbeit dazu beigetragen hat, Rassismus und Kolonialismus aus Schwarzer Perspektive zu bearbeiten.
Die Aufarbeitung der Kolonialen Vergangenheit ist aber nicht nur ein historisches Projekt, sondern steht im unmittelbaren Zusammenhang mit der Bewältigung der aktuellen globalen Machtverhältnisse. Wenn wir beispielsweise über Migration und Flucht sprechen, dann ist dies vor allem vor dem Hintergrund der Wirkungen des europäischen Kolonialismus zu sehen und dies trifft natürlich auch für die globale Wirtschaftspolitik zu, die als Fortführung der Kolonialen Machtverhältnisse zu betrachten ist.

Neben den Erfolgen der Straßenumbenennungen darf aber nicht aus den Augen verloren werden, dass es nicht nur um das Austauschen von Straßenschildern geht, sondern um eine umfassende Debatte über die Koloniale Vergangenheit und die unmittelbaren Folgen für die Länder als auch die Bevölkerungen der jeweiligen Ländern.

Erschienen in der Plumpe #1 (Nov18)