Kampf um den Kiez auf dem Rücken der Ärmsten

In der Müllerstraße hat ein neuer Drogenkonsumraum eröffnet, um Todesfälle durch Überdosierung zu verhindern. Die anwohnenden Bürger*innen fühlen sich bedroht und protestieren dagegen, denn aus ihrer Sicht steht die soziale Einrichtung einer Aufwertung der Nachbar*innenschaft im Weg

Ein Bericht von Stanislav Kowalski

Der neue Drogenkonsumraum (DKR) im afrikanischen Viertel ist der zweite Konsumraum in Mitte. Seit 2004 gibt es bereits einen DKR in der Birkenstraße in Moabit. Mit Drogenkonsumräumen soll verhindert werden, dass der Drogenkonsum in der Öffentlichkeit stattfindet, Drogenkonsument*innen bekommen dort kostenlos sauberes Spritzbesteck, was die Möglichkeit von Infektionen mit Krankheiten wie HIV und Hepatitis C in deutlich reduziert. Der Drogenkonsum findet unter medizinischer Aufsicht statt. Durch ein direktes Eingreifen können Todesfälle durch Überdosierung verhindert werden.

Die Anwohnenden lehnen das Suchthilfe-Projekt mit großer Mehrheit ab und mobilisieren gegen die neue Einrichtung der Drogenhilfe. Auch eine Petition mit über 500 Unterschriften wurde gestartet. Die Nachbar*innen verlangen Schutz vor den Drogenkonsument*innen und wünschen eine Verlagerung des Projektes an den Leopoldplatz, wo sich große Teile der Drogenszene täglich aufhalten.

Tatsächlich wird der Drogenkonsumraum am Leopoldplatz gebraucht, doch keiner der Vermieter*innen war bereit, Räumlichkeiten zur Verfügung zu stellen. Am Leopoldplatz gab es bereits eine Anlaufstelle für Drogenkonsument*innen des Vereins Fixpunkt. Ende 2021 wurde jedoch der Mietvertrag nicht verlängert.

Die Situation auf dem Leopoldplatz ist schwierig. Menschen mit vielfältigen Problemen treffen sich hier. Manche sind vor Krieg, Gewalt und Hunger geflohen, viele haben keinen Zugang zum Gesundheitssystem, andere sind obdachlos und können keine bezahlbare Wohnung finden.
In der Vergangenheit gab es immer wieder Versuche, die Menschen durch Polizeipräsenz zu vertreiben, aber es ändert nichts an der Situation.

Die Erfahrung ist immer die gleiche, wie einer der Drogenkonsumenten schildert: „Selbst, wenn du niemandem Schaden möchtest und dich gut benimmst, verscheuchen sie dich immer und überall. Wenn die Polizei kommt, schnappen sie sich meistens als erstes die Nicht-Deutschen und dann noch diejenigen, die schmuddelig gekleidet sind.“

Ein Raum, in dem die Drogenkonsument*innen vor der Polizei geschützt sind und Hilfe bekommen, wird dringend benötigt. Die Anwohner*innen müssen das akzeptieren. Mit dem neuen Konsumraum in der Müllerstraße hat der Senat aber auch ein weiteres Mal bewiesen, dass er den Eigentumsverhältnissen ohne Beschlagnahmung und Enteignung nichts entgegensetzen kann. Einzig allein die Vermieter*innen entscheiden, wer wo einen Mietvertrag erhält.


Dieser Beitrag erschien in der PLUMPE #10 (Juli 2022)