Nach der Zwangsräumung

25 Jahre lebte Daniel im Wedding, bis er Anfang 2020 aus seiner Wohnung zwangsgeräumt wurde. Wir sind seitdem regelmäßig mit ihm in Kontakt. Hier berichten wir, wie sich sein Leben seitdem verändert hat.

Ein Bericht vom Mieter*innennetzwerk »Mietenwahnsinn Nord«

Seit der Zwangsräumung vor über zwei Jahren wohnt Daniel nun in einem 8.5qm großen Zimmer in einer Wohnungslosenunterkunft in Schöneberg. Zwischen Tür, Bett und Tisch gibt es nur einen schmalen Durchgang. Die Möbel sind in die Jahre gekommen, die Räume sind renovierungsbedürftig und werden nur selten vom Heimbetreiber gereinigt. Die Toilette, Dusche, Küche und Waschmaschine werden von allen Hausbewohner:innen geteilt. Internet gibt es nicht.

Daniel leidet unter den Zuständen im Wohnheim. Die mangelnde Sauberkeit, die fehlende Privatsphäre und die große Distanz zu seinem alten Kiez machen ihm zu schaffen, nachdem ihn die Zwangsräumung psychisch schon stark belastet hatte. Besonders krass war für ihn die Zeit der Kontaktbeschränkungen während Corona, erzählt er uns. Im ersten Jahr im Wohnheim durfte er keinen Besuch in seinem Zimmer empfangen, was seine soziale Isolation noch verstärkte.

Die Suche nach einer neuen Wohnung ist für ihn fast aussichtslos: das Stigma der Wohnungslosenunterkunft und die Zwangsräumung haften an Daniel. Auf dem „freien Markt“ findet er nichts. Er erzählt uns, dass einige Bewohner:innen seit 8 Jahren in der Unterkunft leben und vergeblich nach einer Wohnung suchen.

Daniel ist kein Einzelfall: jedes Jahr gibt es in Berlin mehrere Tausend Zwangsräumungen, mehr als 30.000 Menschen leben in Berlin in Wohnungslosenheimen. Für die Betreiber ist das ein rentables Geschäft: sie erhalten pro Monat 1.200€ pro Person vom Sozialamt. Statt die Bewohner:innen beim Finden einer neuen Wohnung zu unterstützen, haben sie ein Interesse daran, dass genau das Gegenteil passiert und die Heimbewohner:innen möglichst lange festsitzen. Gleichzeitig sparen sie an Personal und Instandhaltung in den Gebäuden, um den maximalen Profit rauszuholen.

Ein Ende der Heimunterbringung ist möglich

Für uns ist klar: Die Heimunterbringung in Berlin muss dringend beendet werden. Sie ist unmenschlich und dient vor Allem der Bereicherung der Heimbetreiber*innen. Statt privaten Betreiber*innen Geld in den Rachen zu werfen, sollte der Senat lieber Wohnraum für die schaffen, die ihn am dringensten brauchen. Wir wüssten auch schon, wo: in den letzten Jahren haben wir dutzende leerstehende Häuser in Wedding, Mitte und Moabit recherchiert. Hier wäre reichlich Platz – nur der politische Wille fehlt!

Leerstehende Gebäude können zu einem Zuhause für wohnungs- und obdachlose Menschen werden. Das wäre ein erster wirkungsvoller Schritt zum Ende von Obdachlosigkeit in Berlin! Dass das funktioniert, sehen wir grade in der Habersaathstraße in Mitte: hier wohnen seit Anfang des Jahres ca. 50 ehemals wohnungslose Personen in einem Gebäude, welches vorher viele Jahre leer stand. Dieses Konzept ließe sich auch auf viele andere Gebäude in Berlin anwenden.

Das Bleiberecht der Menschen in der Habersaathstraße ist gefährdet, denn der Investor möchte das Haus abreißen, um Luxusapartments zu errichten. Für uns ist klar: Um Obdachlosigkeit zu beenden, müssen Investorenträume platzen! Wir unterstützen die Menschen in der Habersaathstr. also weiter und kämpfen gemeinsam für eine dauerhafte sinnvolle Nutzung des Hauses. Unser Slogan: Keine Menschen ohne Wohnung, keine Wohnung ohne Menschen!

Unterstützt uns bei unserer Arbeit und kommt zum offenen Treffen: aktuelle Infos auf miwa.noblogs.org


Dieser Beitrag erschien in der PLUMPE #10 (Juli 2022)