Wer ist dieses Milieu und warum wollt ihr es schützen?

Die «neoliberalisierung der städte» – ein schreckgespenst von dem wir in letzter Zeit immer häufiger hören. aber was hat es damit auf sich? und was hat das mit unseren Kiezen zu tun?

Die «neoliberale Stadt» beschreibt die Ausrichtung der gesamten Stadtentwicklung an der Idee des freien Marktes. Es wird angenommen, dass dieser alle Probleme von alleine und ohne Regulierungen am besten lösen kann. Die Folge sind die Zurücknahme staatlicher Sozialprogramme und weitreichende Privatisierungen um dies durchzusetzen. Die Stadt wird hier als eine Marke angesehen, die es zu verkaufen gilt. Die Menschen, die in ihr leben sind zweitrangig. Unsere Städte sollen schöner und attraktiver werden, nicht für uns Bewohner*innen, sondern in erster Linie als «Standortfaktor» für multinationale Unternehmen und um hochqualifizierte Fachkräfte anzuziehen. Geringverdienende und Arbeitslose werden hingegen ausgegrenzt. Im Fokus dieser – gar nicht so neuen – Logik der kapitalistischen Städte liegt also die Verwertbarkeit für das Kapital. Die Stadtpolitik wird damit zu einer «Standortpolitik» umgestellt. Am einfachsten ist es die verschiedenen Ausdrucksweisen der «neoliberalen Stadt» am Beispiel zu betrachten. Im Wedding fallen dabei schnell folgende Beispiele ins Auge: Die voranschreitende Privatisierung von öffentlichen Orten signalisiert nach außen deutlich, wer dazugehört und wer nicht. Wer sich den neuen Lifestyle nicht mehr leisten kann, wird ausgegrenzt. Das zeigt sich an der stark ansteigenden Videoüberwachung halböffentlicher Orte und an Hinweisschildern oder Verordnungen, die etwa aggressives Betteln, ungenehmigten Warenverkauf, «Zweckentfremdungen» von Wasserbecken oder Bänken und das Anbringen von Plakaten verbieten. So können bestimmte Personengruppen durch private Sicherheitsdienste ausgegrenzt werden.

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«Gemeinsam die Angst wegschmeißen» – Interview mit der unabhängigen Erwerbsloseninitiative Basta!


Themen – «Wir sind es, die Arbeitslosen!» So reihten sich die unabhängige Erwerbsloseninitiative von Basta!, alle Verachtung trotzend, als Gruppe am 30.4.18 in dieDemo ein. Sie organisieren sich seit acht Jahren im Wedding. Neben der Beratung in der Schererstraße 8 geht es ihnen um ein solidarisches und würdevolles Miteinander. Sie ringen um eine gemeinsame Praxis, wirkungsvoll gegen die Bedrohung der Jobcenter aktiv zu werden. In der Aktionswoche vom 20.-30. April organisierte Basta! eine Beratung vor dem Jobcenteram Leopoldplatz und mit der PA58 (Prinzenallee 58) ein Erzählcafe mit der Weddinger Nachbarschaft.

Das Jobcenter ist für euch als Basisaktivist*innen ja mittlerweile ein zweites «Zuhause». Kann man das so sagen?!

Für Basta! ist die Schererstraße 8 das soziale Haus, wo wir wir selbst sein können. Dort können wir uns analog austauschen, miteinander denken, lernen, streiten, lachen, uns organisieren, gemeinsam Essen, Musik machen und feiern. Nein, das Jobcenter ist kein zu Hause, definitiv nicht. Es ist ein Apparat der blanken Herrschaft, der Menschen keine Handlungsoptionen lässt. Damit verbinden wir einen grotesken Ort, der die Lohnarbeit zum einzigen Mittel der Selbstverwirklichung erklärt und der mithilfe von neuzeitlichen Instrumenten wie Sanktionen, Mitwirkung und Zumutbarkeitskriterien Terror verbreiten will. Das Jobcenter ist für uns die Fabrik; dort streiten wir um materielles Auskommen. Es ist der Ort der taktischen Konfrontation. Auch dort gewinnen wir zukünftige Mitstreiter*innen. Um Solidarität zu spüren begleiten wir uns gegenseitig, zeigen dabei, dass wir nicht allein sind, dass Herkunft gemeinsames Schicksal macht. Dabei ist das Jobcenter ein Ort unserer Analyse und Kritik.

Was ist eigentlich die Motivation, sich als Initiative permanent mit so einem bürokratischen Komplex wie Hartz-IV und den dazugehörigen Jobcenter Aktivitäten auseinanderzusetzen?

Da gibt es viele Gründe. […] In Berlin und gerade im Wedding kann ein hoher Anteil der Bewohner*innen nicht durch Arbeit den Lebensunterhalt bestreiten. Und das,während die Mieten steigen und rassistische Diskurse öffentlich politisch angeheizt werden. Im Jobcenter fallen all diese Zustände zusammen. Wir lernen sehr viel bei unserer Arbeit bei Basta!:Wie es möglich ist mit wenig Geld zu leben, wie viel Solidarität in der Gesellschaft vorhanden ist, die meist unsichtbar bleibt. Wir wollen die Kräfte, das Widerstandspotential bündeln,um zu einer Gegenmacht zu werden. Armut, Arbeits- und Wohnungslosigkeit sind keine individuellen Probleme, die in der Person wurzeln, sondern gesellschaftlich gemacht, gewollt. Für uns ist klar, dass wir sie deshalb auch nicht individuell lösen können, sondern uns zusammen tun müssen. Das Gefühl von Schuld lastet schwer, aber vor allem der Ausschluss, wenn ich nicht einfach mit meinen Freund*innen essen gehen kann und das letzte Mal vor 5 Jahren im Urlaub war – das alles versuchen wir in einen Kontext zu setzen.

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Die Wohnung ist zu teuer!


Titelthema  Was bleibt vom Lohn, von HartzIV oder von der Rente übrig, wenn die Miete mehr als die Hälfte des Einkommens frisst? Ein karges Loch auf dem Konto oder in der Spardose und das dumpfe Gefühl, dass es irgendwann nicht mehr ausreichen könnte. Eine Bestandsaufnahme im täglichen Mietenwahnsinn:

Mehr als 180 000 Menschen leben zusammen im Wedding/Gesundbrunnen und die meisten davon wohnen zur Miete. Ob nun frisch saniert und neuvermietet oder mit altem Mietvertrag gerade eben eine neue Spüle erbettelt – die Mietspirale im Kiez schraubt sich nach oben und alle sind betroffen.

Die Wut und Spannung in den Berliner Kiezen über diese Zustände sollte nicht zuletzt durch die Demonstration gegen Verdrängung und Mietenwahnsin am 14. April 2018 mit fast 30.000 Menschen auch den letzten Hinterhof und Schreibtisch erreicht haben. Auch hier im Wedding zog zwei Wochen später eine antikapitalistische Demonstration mit 3.000 Nachbar*innen unter dem Motto „Widerständig und solidarisch im Alltag“ durch den Kiez, bei der das Recht auf Wohnen für alle eine der Hauptanliegen war. Die Sozial- und Wohnungsbaupolitikist kaputt. Spekulant*innen erzielen immer höhere Gewinne beim Verkauf von Immobilien und ziehen damit andere Spekulant*innen an. Berlin ist die Nummer eins – und zwar weltweit – beim Anstieg der erzielten Preise für Immobilien (1). Auch Wohnungsbaugesellschaften wie Akelius oder Deutsche Wohnen wittern höhere Einnahmen und ziehen seit Jahren die Mietpreisean, so auch die DeGeWo im Brunnenviertel.

Alltägliche Angst

Wohnen ist ein Grundrecht und die soziale Lebensgrundlage. Viele Nachbar*innen realisieren das erst, wenn ihre Wohnsituation selbst bedroht ist. Angst vor dem Verkauf der Wohnung und einer teuren Sanierung ist allgegenwärtig. Kaum jemand kann sich noch den Umzug leisten und vor allem bei Familiennachwuchs wird noch eher kreativ umgebaut, als die aussichtslose Wohnungssuche beschritten. Das führt auch dazu, dass in Berlin immer mehr Menschen auf immer weniger Raum leben müssen.

Wer kann, wehrt sich meist vereinzelt gegen Mieterhöhung, Zwangsmodernisierung, Kündigung wegen Eigenbedarf oder Entmietungstaktiken dubioser Hausverwaltungen. Unterstützung durch einen Anwalt ist zwar ein erster wichtiger Schritt, doch meist verpufft er erfahrungsgemäß nach zähem Ringen gegen eine vermieter*innen- und eigentümer*innenfreundliche Rechtsprechung der Gerichte. Die Erfahrung zeigt auch, dass Einzelfallklagen Ergebnisse einer gezielten Kommunikationsstrategie der Vermieter*innenseite bzw. Hausverwaltungen sind. Ein Beispiel dafür sind unterschiedliche Anschreiben an Mietparteien im gleichen Haus mit unterschiedlichen Forderungen. So soll verhindert werden, dass Mieter*innen sich wegen gleicher Probleme wehren und gemeinsam Druck ausüben. Im schlimmsten Fall, begünstigt durch die Schlamperei der Ämter, attert dann der Bescheid für eine Zwangsräumung ins Haus. Viele schrecken zurück, packen die Koffer, ziehen – wenn möglich – zu Verwandten, verlassen die Stadt oder landen erstmal auf der Straße. Es wird der Eindruck vermittelt, man trage selbst Schuld, Zahlungen versäumt oder Regeln gebrochen zu haben. Wer bis zum Räumungstermin bleibt, macht Bekanntschaft mit den Gerichtsvollzieher*innen.

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