Die rechte Antwort auf die Krise sind rassistische Polizeigewalt und Terror
Titelthema – Mehr als acht Monate sind seit dem rassistischen Anschlag in Hanau bei Frankfurt am Main bereits vergangen. Mehr als ein Jahr seit dem rechten Anschlag auf eine Synagoge in Halle und mehr als 16 Monate seit dem Mord an dem CDU-Politiker Walter Lübcke durch einen Neo-Nazi in Kassel. Hier in Berlin kommt die seit über einem Jahrzehnt anhaltende Brandanschlags- und Mordserie in Neukölln hinzu. Der «Neukölln-Komplex» trat erst kürzlich wieder in das öffentliche Bewusstsein, da die Ermittlungsbehörden selbst in den Verdacht kamen, mit dem Neo-Nazi- Terror zu sympathisieren. Bedauerliche «Einzelfälle»? Es handelt sich um eine bereits länger anhaltende Kontinuität rechten Terrors in der Bundesrepublik. Sie verschärft sich gerade vor dem Hintergrund einer bestehenden Gesundheits- und Wirtschaftskrise.
Das gescheiterte Krisenmanagement der verschiedenen Bundesregierungen nach 1990 verschärft die Spaltung in reiche, gesundheitlich abgesicherte und arme, perspektivlose Teile der Gesellschaft immer weiter. In Zeiten der Coronakrise wird insbesondere die deutsche Mittelklasse, das Klein- unternehmertum, durch Lockdowns weiter unter Druck gesetzt, während die Beschäftigten unter schlechtem Hygieneschutz weiter schuften müssen.
Faschistisches Krisenmanagement
Dabei zeigt sich bereits seit mehreren Jahren, dass es der etablierten Politik nicht mehr gelingt, dieses krisenhafte Wirtschaftssystem mitsamt seiner ungleichen Verteilung des Reichtums als alternativlos zu verkaufen. Eine Situation also, die augenscheinlich Möglichkeiten für eine breite gesellschaftliche Bewegung zur Erringung von sozialen und demokratischen Forderungen gegen diese Verhältnisse bietet. Umgekehrt ruft es aber auch diejenigen auf den Plan, die diesem Wandel entgegenstehen wollen. Jene, die den Status quo erhalten oder gewaltsam ausbauen wollen – und das manchmal sogar offen aus faschistischer Gesinnung. Rechte Anschläge sind also lediglich besonders krasse und durch Medienberichterstattung sichtbare Erscheinungen. Denn der Staat schaut oftmals zu.
Nicht erst seit der Selbstenttarnung des sog. Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) 2011 muss von einer Verflechtung staatlicher Institutionen mit neofaschistischen Netzwerken aus- gegangen werden. Beispielhaft hierfür wurde die belegte Verstrickung von organisierten Faschisten in der Bundeswehr mit rechten Politikern der AfD. Dieser Komplex, der als «Hannibal- Netzwerk» 2018 publik wurde, plante konkret den gewaltsamen Umsturz und die Errichtung einer faschistischen Militärdiktatur. Das und viele weitere aufgedeckte Komplexe der vergangenen Jahre zeigen: Teile der neofaschistischen Bewegung wittern Morgenluft und sehen in der krisenhaften gesellschaftlichen Situation die Möglichkeit, in den Vorständen und Führungsetagen eine rassistische und nationalistische Agenda unter «bürgerlichem» Deckmantel durchzusetzen und strategisch wichtige Bereiche im Staatsapparat zu infiltrieren.
Keine «Partyszene»
Die Auswirkungen einer auch im Staat erstarkenden rechten Bewegung spüren viele bereits ausgegrenzte Teile der Bevölkerung seit Jahren. Zusätzlich zum finanziellen Überlebensdruck im Krisenalltag, zwischen löchrigen Durchhalteprogrammen und faulen Rettungspaketen, gelangen Fälle von rassistischer Polizeigewalt gegenüber vermeintlichen Migrant*innen, Rom*nja, Obdachlosen und Schwarzen Menschen immer breiter an die Öffentlichkeit. Der durchaus internationale Rassismus kann einerseits seit dem rassistischen Mord an George Floyd im Mai 2020 durch einen weißen Polizisten in den USA nicht mehr klein- geredet werden – was spätestens seit dem Tod von Oury Jalloh 2005 in Dessau hier ebenfalls der Fall sein sollte. Andererseits ist die rassistische Gewalt durch staatliche Behörden in der aktuellen Situation noch viel offener, gezielter – ja exzesshaft. Durch soziale Netzwerke wurden in den letzten Monaten auch in Berlin, viele Fälle durch Augenzeugenberichte öffentlich gemacht. Die Wut einer strukturell diskriminierten und schikanierten Jugend, medial zuweilen als «Partyszene» verunglimpft, explodierte kürzlich in gewaltvollen Straßenprotesten wie in Stuttgart und Frankfurt am Main im Sommer 2020.
Diese Proteste, aber auch die vielen antifaschistischen Gedenkinitiativen, sowie die Recherche und Aufklärungsarbeit über die Zusammenarbeit von staatlichen Behörden mit Neo-Nazi-Strukturen, sind Ausdruck des Widerstands gegenüber eines sich verschärfenden Rechtsrucks. Klar ist: Dagegen anzugehen hieße rebellierende Jugendliche, Arbeiter*innen, Erwerbslose, Kleinselbstständige, Prekäre usw. für eine soziale und demokratische Lösung der Krise zu gewinnen. Wenn ihre Wut über Abstiegs- und Verarmungsängste, rassistische Gewalt, Polizeistress usw. sich nicht gegen die Verursacher*innen ihres Elends richtet, dann mündet dies im altbekannten Kampf «Alle gegen Alle» – und bereitet der faschistischen Bewegung einen idealen Nährboden.
Dieser Beitrag der Redaktion erschien in der PLUMPE #6 (September 2020)