„Der Streik hat uns näher zusammen gebracht“

Titel – Interview mit einer Pflegekraft aus dem Wedding zur Berliner Krankenhausbewegung.

Gleich zu Beginn: Was hat dich motiviert, dich dem Streik anzuschließen?

Ich wollte mich gerne aktiv an dem Streik beteiligen, da ich gemerkt habe wie sehr der Job an mir zehrt und ich nur weiter als Pflegekraft tätig sein kann, wenn es Verbesserungen gibt. 

Wie war die Stimmung unter den Kolleg*innen im Vorfeld und im Verlauf der Streiks?

In unseren Team ist die Streikbereitschaft insgesamt sehr hoch. Im Vorfeld war es aber unabdingbar, dass einer von Verdi zu uns auf Station gekommen ist und durch Einzelgespräche die Kolleg*innen überzeugt hat, sich gewerkschaftlich zu organisieren. Der Streik hat uns als Team, das aus vielen neuen Kolleg*innen besteht, näher zusammen gebracht. Die Stimmung auf der Station selbst war durch die Konfrontation mit der Leitung sehr angespannt. Diese Anspannung hält noch bis heute an. 

Ich habe von vielen Beschäftigten in Pflege und Versorgung Geschichten über Einschüchterungsversuche gehört. Hast du davon auch etwas mitbekommen?

Es gab von der Leitung sehr viel emotionalen Druck. Es wurde gesagt, man lässt die Kolleg*innen auf Station im Stich, sei unkollegial und vieles mehr. Kolleg*innen wurden privat angerufen/angeschrieben. Insgesamt wurde auf die einzelne Person sehr viel Druck ausgeübt. 

Jetzt im Nachhinein wird immer mal wieder von höherer Position in Frage gestellt, ob der Job noch das richtige für einen sei. 

Die Krankenhausbewegung hatte das Ziel, eine breite Solidarität auch über die Betriebe hinweg zu erzeugen. Wie hast du die Unterstützung hier im Wedding wahrgenommen?

Zu Anfang waren viele Kolleg*innen enttäuscht von der Anzahl der Streikenden, da diese an vielen Orten verteilt waren. Dadurch wirkte der Streik nicht so stark. Das hat sich durch gemeinsame Demos jedoch geändert. Da wurde die gemeinsame Stärke repräsentiert und die hat insgesamt auch Wirkung gezeigt bei der Klinikleitung. Von Unterstützung aus der Nachbarschaft habe ich kaum etwas mitbekommen. Vielleicht, weil ich immer mit meinem Team zusammen da war.

Viele Pfleger*innen verlassen ihren Beruf wegen zu hoher Belastung. Wie schätzt du das Ergebnis der Tarifverhandlungen ein? Reichen die verhandelten Verbesserung aus, um dem entgegenzuwirken?

Um ehrlich zu sein, kann ich das noch nicht genau einschätzen. Ich hoffe sehr, dass wir damit eine große Verbesserung erreichen konnten. Die Ergebnisse sollen erst Januar in Kraft treten. Ein großer Part ist der Pflegeschlüssel für jeden Dienst auf Station. Also wie viele Patient*innen pro Dienst auf eine Pflegekraft fallen. Ein Beispiel: Es sind 10 Patient*innen auf einer Station, der Pflegeschlüssel liegt bei 1:7. Laut Tarifverhandlungen soll dabei keine Pflegekraft geteilt werden und stattdessen aufgerundet werden. Auf der Station müsste also eine zusätzliche Pflegekraft eingeteilt werden. In einem Gespräch mit der Leitung wurde jedoch geäußert, dass prozentual auf alle Patient*innen verteilt gerechnet wird. Also keine Pflegekraft mehr für diese Station. Keine wirkliche Entlastung.

Was für konkrete Veränderungen bräuchte es weiterhin, um in deinem Beruf ein gesundes und patientenorientiertes Arbeiten möglich zu machen?

Einen festen Pflegeschlüssel. Eindeutig mehr Personal. Keine Flexibilisierung der Pflegekräfte. Und um neues Personal auch zu bekommen und bestehendes zu halten, sowie den Job attraktiver zu machen, nach wie vor eine Anpassung des Gehalts.


Ihr führt selbst Arbeitskämpfe im und um den Wedding und wollt darüber berichten? Meldet euch unter post@plumpe.org!


Das Interview erschien in der PLUMPE #9 (Januar 2022)