„Unser Theater ist Selbst-Empowerment von der Klasse für die Klasse“

Die S.K.E.T (schnelle kulturelle Eingreiftruppe) zeigte am 8. März Ausschnitte aus der Trilogie "Kabarette um die Welt" auf den Straßen Moabits, Foto: Veronica Schiavo

Kultur – Das Theather X macht seit 2009 emanzipatorische Kunst in Moabit. Es versteht sich als alternatives CommUNITY-Theater, das von Jugendlichen und Mitarbeiter*innen gemeinsam, im Co-Management, konzipiert und betrieben wird. Im Zentrum des Bühnenprogramms und der Eigenproduktionen steht eine kritische künstlerische Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Verhältnissen aus der Perspektive marginalisierter Jugendlicher. Wir sprachen mit dem künstlerischen Leiter des Kollektivs Ahmed Shah:

Was ist das Theater X?

Das Projekt Theater X steht für die Orte, die es nicht gibt, für die Geschichten, die nicht erzählt werden. Geschichten von Existenz und Widerstand von Frauen, von queeren Menschen, von Menschen aus anderen Orten der Welt, von Menschen mit unterschiedlichen Hautfarben. Das was es nicht gibt, soll es geben, dachten wir, als wir dieses Projekt gestartet haben. X steht für den Inhalt unserer emanzipatorischen Kunst, die sonst keine Bühne findet. X heißt auch Widerstand im Geiste von Malcom X und Angela Davis. X ist aber auch ein Stil: caring, sharing, fair. Theater X ist ein solidarischer Ort, wo du hingehen kannst, wenn du Hilfe brauchst. Veränderung ist wichtig, nötig, möglich und wir möchten durch unsere Kunst etwas dazu beitragen. Wir machen Theater damit wir unser Leben verändern können.

„Bewegung ins Theater und Theater in die Bewegung“ ist einer eurer Devisen. Was ist damit gemeint?

Theater kann die Welt nicht verändern, aber es kann denjenigen helfen, die die Welt verändern können, wie David Edgar bereits in den 70ern formulierte. Wir machen Theater im Dienst der Bewegung. Es geht darum, die vorhandenen Mittel zur Verfügung zu stellen, um Leute zu empowern, etwas zu verändern. Gleichzeitig heißt das, Theater über die Themen zu machen, die uns wichtig sind. Wir wollen Räume reclaimen, um die Bewegung ins Theater zu bringen. Wir brauchen ein lokales Theater für die Communities und Orte, wo man sich kulturell und politisch ausdrücken kann. Wir möchten das Theater als politisches Diskussionsmittel wiedergewinnen.

Wer macht bei Theater X mit?

Am Anfang des Projekts waren es viele Leute, die hier angesiedelt wurden, ohne Strukturen, ohne jegliche Unterstützung. Es sind Leute aus dem ehemaligen Jugoslawien, aus Palästina, Syrien, Irak, aus afrikanischen Ländern. Es sind Nachbar*innen. Es sind Leute, die nicht viele Privilegien haben. Aber sie sind Fachexpert*innen für die Probleme der Welt. Es sind junge und talentierte Leute, die nicht darauf warten, dass etwas entdeckt wird, sondern die sich Räume erkämpfen, um neue Sachen auszuprobieren. Es sind Menschen, die viele Aggressionen von dieser Gesellschaft erleben und marginalisiert werden. Sie haben einen krassen und sehr interessanten Blick auf die Gesellschaft und das System.

Außerdem haben sie sich mit jungen Kulturschaffenden, die mit den etablierten Strukturen des Kultur- und Politbetriebes unzufrieden sind, verbunden. Sie wollen zu einer von unten wachsenden und kämpferischen Community-Kultur beitragen.

Warum ist revolutionäres Theater heute wichtig? 

Wie Bertolt Brecht formulierte, wollen wir, wenn wir proben und aufführen, die Ketten brechen hören. Durch das Theater suchen wir den Spaß an der Selbst-Befreiung. Das ist revolutionäres Theater. Darüber hinaus ist es wichtig, dass wir die Geschichte vom Widerstand durch Kunst wiedergeben. Dadurch entdecken viele von unseren Menschen neue Geschichten, sie gewinnen neue Kenntnisse, sie stellen fest, dass gemeinsam etwas verändert werden kann und dass einfache Leute wie wir sehr wichtige Widerstandskämpfe geführt haben. Das revolutionäre Theater gibt uns Fallbeispiele unserer Klasse. Wir finden dadurch den Zugang zu uns selbst. Das gibt uns den Sinn, warum wir Theater machen. Wir machen revolutionäre Proben. Auf der Bühne kann man denken, neue Sachen ausprobieren, sich politisieren und rebellieren. Unser Theater ist Selbst-Empowerment von der Klasse für die Klasse, ein frischer Wind gegen das etablierte neoliberale, intellektualisierte und hierarchische Theater.

Welche Rolle spielt das Theater in Moabit?

Das Projekt ist mit einem stark lokalen Bezug entstanden. Viele Jugendliche aus den benachbarten Straßen sind zu uns gekommen und haben gespielt und geprobt. Wir haben diesen Ort gemeinsam aufgebaut, sind durch den Kiez gewachsen und bewusst hier geblieben. Wir mussten viel kämpfen, um die Räumlichkeiten in der Wiclefstraße zu behalten. Mittlerweile treffen sich hier auch andere Initiativen, die nicht nur Kiez-bezogen sind. Deswegen müssen wir immer wieder darüber reflektieren, was wir zum Kiez beitragen. Unser Ziel ist es, dass Nachbar*innen nicht passive Zuschauer*innen, sondern aktive Teilnehmer*innen werden. Wir zielen nicht auf Publikumsbildung, sondern auf Community-Building und auf Bildung für die Community gegen Rechts. Kiez und Community sind unser Schutz.

Wie kommt ein junges und alternatives Theater durch die Krise?

Die Gesamtsituation ist schwierig, aber es ist möglich und notwendig sich weiterhin zu organisieren, wenn man ein revolutionäres und emanzipatorisches Ethos hat. Und das haben wir. Deswegen waren wir während der ganzen Pandemie sehr aktiv. Wir haben sofort auf digitale Formate umgeschaltet und die Vorteile der Online-Formate genutzt. Wir haben uns international vernetzt und jeden Samstag ein Streaming-Event veranstaltet. Dabei haben wir uns politisch gut vernetzt und sind ein Jahr lang auf Demos aufgetreten. Am kommenden 1. und 8. Mai werden wir unser revolutionäres Theater wieder auf die Straße tragen. Eine große Herausforderung war jedoch, die Bindung mit den Menschen, sowie ihr Interesse, nicht zu verlieren. Unsere Antwort darauf war mehr Präsenz in den sozialen Netzwerken und die Nutzung von Video-Formaten. Wir haben Film-X aufgebaut, aber wir bevorzugen Livekunst.

Vom 16. bis zum 20. Juni findet das FESTIWALLA 2021 statt. Was sind die Schwerpunkte eures diesjährigen Theater-Festivals?

FESTIWALLA ist ein Community Kultur-Festival von unten. Die aktuelle Krise hat das diesjährige Festival inhaltlich geprägt. Naomi Klein redet vom Katastrophenkapitalismus: Klimakrise, Polizeigewalt, Rassismus, Sexismus, soziale Ungleichheit… Es gibt aber auch starke Bewegungen und Kämpfe gegen dieses System. Deswegen ist der Titel des diesjährigen Festivals Tod oder Leben. Wir wollen damit zeigen, dass der Kapitalismus ein Todeskult ist. Er bringt den Faschismus hervor, welcher ebenfalls ein Todeskult ist. Klimawandel, Polizeigewalt, die Leugnung von Corona, Patriarchat und Feminizide sind Todeskulte. Die Bewegungen und Kämpfe dagegen sind das Leben, zum Beispiel die der Black-Lives-Matter-Bewegung, von Fridays for Future oder die des militanten Feminismus in Südamerika. Wir haben die Wahl: Tod oder Leben. Kapitalismus oder Bewegung. Das ist das Thema des FESTIWALLA 2021.


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Spendenkonto Theater X:
Initiative Grenzen-Los!e.V.
IBAN: DE 28 4306 0967 4023 1081 00
BIC: GENODEM1GLS
(GLS Gemeinschaftsbank)
Verwendungszweck: Jugendarbeit


Eine gekürzte Version dieses Interviews der Redaktion erschien in der PLUMPE #8 (Mai 2021)